Das Herz Von Elowia
ihre Köpfe geneigt und lauschten der klaren Stimme der Fangarin, als sie leise und voller Melancholie sang:
»Nichts.
Im Nichts existiert kein Hier und Jetzt.
Keine Zeit, kein Verfall und keine Vergangenheit.
Wo das Nichts regiert wird es keine Zukunft geben.
Nichts wird geboren, nichts wird sterben.
Das Nichts kommt in funkelnder Gestalt.
Elowia geht in Schönheit unter.
Die Leere kommt. Die Leere ist da.
Elowias Herz ist in Dunkelheit getaucht.«
Ihre Worte schwebten durch die große Säulenhalle und hinterließen ein frostiges, beinahe beängstigendes Gefühl.
»Mama«, flüsterte Fanjolia, aber ihre Stimme verhallte ungehört, und als sie ihre Finger nach der Fangarin ausstreckte, glitten sie durch den Körper hindurch. Was immer auch passieren würde, sie war zum Zusehen verdammt und konnte nicht eingreifen.
Sie hörte Schritte und drehte sich um. Verwundert sah sie zu dem Mann, der zu ihrer Mutter eilte. Es war ihr Vater. Er trug die Haare viel kürzer und seine Gesichtszüge waren noch um einiges milder und nicht so streng, wie sie ihn kannte.
Er hatte die dunkelblaue Robe mit den silbernen Stickereien fest um seinen Körper geschlungen. Er eilte mit bedeutungsvoller Mine zu ihrer Mutter hin, die in ihrem gelben Seidenkleid wie eine exotische Sonnengöttin wirkte.
Bevor Fanjolia reagieren konnte, rannte er einfach durch sie hindurch.
»Kaleida, meine Liebe, was bedrückt dich?«, fragte er sie kummervoll und ein wenig hilflos. »Dass du ein solches Lied singst?«
Kaleida lehnte sich zurück und stütze sich mit den Ellenbogen ab, sodass sich ihr Oberkörper nach vorne wölbte und sich die Brüste unter ihrem Kleid abzeichneten.
Erst jetzt sah Fanjolia den großen Diamanten, den sie trug. Der Kristall hatte die Form eines Herzens und strahlte in allen Farben, die es auf Elowia gab. Sein Leuchten war so intensiv, dass man meinen konnte, er würde brennen.
»Warum ich so ein Lied singe, willst du wissen?«
Sie richtete ihre Augen auf das Kind auf ihrem Schoß - Fanjolia nahm mit gemischten Gefühlen wahr, dass sie das Mädchen auf dem Schoß ihrer Mutter war - und säuselte: »Weil Elowia untergehen wird. Zusammen mit mir. Dunkelheit wird über unsere Welt hereinbrechen und auch keinen Halt vor unserer Tochter machen.«
Leondron ließ sich neben ihr an dem Ufer nieder und streckte seine Beine in das klare Wasser. Die Schwäne warfen ihre Köpfe nach hinten und schnatterten.
»Kaleida, Elowia wird nicht untergehen und unserer Tochter geht es gut.«
Wie um seine Worte zu bestärken, quietschte das Mädchen auf Kaleida Schoss vergnügt auf und betrachtete fasziniert das Funkeln des Steins.
Die Fangarin legte ihre Hand auf den Kopf ihres Kindes und schmiegte ihre Wange dicht an Fanjolias Pausbacke. »Siehst du denn ihre schwarzen Schwingen nicht?«, wollte sie betrübt wissen. »Sie wird nie eine Wächterin werden. Sie wird den Spiegel verraten.«
»Meine geliebte Kaleida, sie ist ein wunderschönes Kind, ihre Flügel sind hell und glänzend. Sie wird dir als Spiegelwächterin folgen und uns sehr Stolz machen.«
Die Fangarin lächelte matt. »Das Herz von Elowia, welches ich trug, als ich ihren ungeborenen und unfertigen Körper in dem meinen beherbergte, hat sie verdorben. Der Stein, geformt aus den Träumen der Lebewesen Elowias, hat sich verändert. Elowias Kinder träumen nicht mehr von Liebe und Geborgenheit. Sie sehnen sich nach Macht und ihre Herzen sind voller Gier. Der Diamant ist nicht mehr, was er einmal war. Er ist befleckt. Seine Reinheit spiegelt sich nur noch an seiner Oberfläche, aber tief im Inneren ist er vergiftet und angefüllt mit falschem Begehren. Das Juwel ist verloren und hat unsere Tochter mit sich gerissen.«
Leondron sah seine Frau entsetzt, aber ungläubig an. Der Zweifel über ihre Worte zerfurchte sein glattes Gesicht.
Die moosgrünen Augen von der Fangarin wurden eine Spur dunkler und ihre Worte verzweifelt und gehetzt, als befürchte sie, mit jeder Sekunde, die verstrich, dem Unheil näher zu kommen. »Sie ist verdorben, sie ist meine Leibesfrucht und hat die Dunkelheit mit der Muttermilch aufgesogen.«
Kaleida lehnte ihren Kopf gegen Leondrons Schulter, ihre Lippen bebten. »Warum konnte sie nicht verschont bleiben? Unsere kleine Tochter. Warum nur?«
»Warum nur?«, schrie sie plötzlich. Das kleine Mädchen von dem unerwarteten Ausbruch ihrer Mutter überrascht, fing an zu weinen.
Leondron saß nur regungslos und bis aufs äußerste gespannt neben seiner Frau und brummte
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