Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
der sie Emily unterziehen, ist sehr speziell. Sie schaffen ein Mechagen ohne von der Kirche abgesegnetes Muster. Ungemein schwierig. Und die Ausrüstung, die sie dafür brauchen, ist dort oben.«
»Ihr müsst mich gehen lassen. Ihr müsst mich ihr helfen lassen.«
»Nein, müssen wir nicht«, widersprach Angela. »Und jetzt leg die Flinte weg und komm mit uns.«
»Ihr habt gehört, was der Mann gesagt hat!«, rief von unten eine Stimme herauf. Ich drehte mich um und blickte hinab.
Wilson. Er stand unten mitten auf dem körnigen Sand. Seine Haut wirkte, als wäre sie mit Holzkohle abgerieben worden, und er trug einen knielangen schwarzen Mantel mit angesengten Rändern. Der Anansi sah übel aus. Seine Hände steckten in den Taschen, seine Spinnenarme bündelten sich um die Schultern wie rastlose Flügel.
Angela und einige der Hausgardisten traten am Geländer zu mir.
»Ein Freund von dir?«, fragte sie.
»Vielleicht. Ist in letzter Zeit schwer zu sagen.«
»Ah ja. Du trauerst immer noch um die Zuneigung unserer kleinen Hurenspionin. Sag ihm, er soll heraufkommen, oder ihr seid beide tot.«
»Wilson …«, rief ich.
»Ich hab das Miststück gehört.« Er zog die Hände aus den Taschen und streckte sie seitlich weit von sich. In jeder hielt er ein kleines Glas, in dem sich im fahlen Licht etwas wand. »Ich bin gleich oben.«
Er ließ die Gläser fallen, dann sprang er sofort auf die eiserne Wendeltreppe. Die Gläser zerbrachen mit einem dumpfen Knall. Glitzernde Horden wuselten über den Sand. Käfer.
»Schaltet ihn aus!«, brüllte Angela. Die Gardisten reagierten, ohne zu überlegen.
Sie hatten tatsächlich Verderbensgeschosse in den Kurzgewehren. Die Kugeln prallten vom Eisen ab, und die Treppe begann zu bröckeln wie dünnes Eis. Wilson sprang herauf, viel schneller, als sie zielen konnten. Ein Schuss traf ihn beinah, und der Anansi schrie auf, wurde jedoch nicht langsamer. Ich drehte mich um und rammte dem nächstbesten Gardisten den Kolben der Flinte gegen den Kopf, dann hob ich seine Waffe auf und schlang mir Emilys Flinte über die Schulter.
»Jacob!«, brüllte Wilson. Ich schaute hinunter und sah, dass er nach oben deutete. Ich legte den Kopf in den Nacken, blickte zur Sängerin.
Sie hatte die Augen geöffnet und hob langsam die Arme zu einer Segnung.
Ich warf mich rückwärts, als der Rest der Hausgardisten herbeistürzte, um mich zu überwältigen. Ich fiel zwischen sie und rutschte auf dem Rücken über den Boden. Angela starrte immer noch nach unten und feuerte wild auf Wilson.
Mein Vater war der Sängerin zugewandt auf ein Knie gesunken und hatte ruhig die Hände auf seinem Bein gefaltet. Ich hielt mir die Ohren zu und rollte mich ein.
In der Enge des Dachgeschosses des Doms hatte ihre Stimme eine katastrophale Wirkung. In meiner Erinnerung war sie leiser, ein sanftes Murmeln, das wie ein Bach durch das Gebäude gurgelte. Dies hingegen kam einem Tornado gleich, einer akustischen Lawine. Drei Jahre aufgestauter Göttlichkeit, vergessen von ihren Dienern, zornig in all ihrer Pracht.
Wir alle fielen, sogar mein Vater. Das Gebäude erzitterte. Ich sah, dass Angela vornüberkippte. Ihre Schreie wurden von der überlegenen Stimme der Sängerin übertönt. Keiner der Hausgardisten hatte begriffen, was geschehen würde, und sie alle lagen ausgestreckt da, hielten sich die blutenden Ohren. Meinen Vater erblickte ich flach auf dem Boden, die Züge entspannt. Er vermittelte den Eindruck, zu schlafen. Wilson krabbelte über das oberste Geländer und verzog das Gesicht. Er huschte zu mir und zog mich hoch.
Ich versuchte, ihm mitzuteilen, wo sich Emily befand und was man ihr antun wollte. Meine Stimme war chancenlos gegen das Tosen der Sängerin.
Wir rannten zur Treppe. Sie zerbröckelte. Das Eisen war brüchig wie Glas geworden. Die Stufen verbogen sich unter unseren Füßen, das Geländer löste sich in scharfkantige Stücke auf, wann immer wir stolperten und nach dessen trügerischem Halt griffen. Die letzten drei Meter fielen wir, als das gesamte Gebilde auseinanderbrach. Ich landete auf dem vor Käfern schmierigen Sand.
Ich kam neben Angela zum Liegen. Ihr blutiger Mund stand offen, halb voll mit Sand. Die Arme und Beine standen in unnatürlichen Winkeln ab, die Brust war eingedrückt. Ich rappelte mich auf und rannte los. Zur Tür hinaus in die unmögliche Stille auf der Straße, wo sich angesichts des unerwarteten, aus dem Dom dringenden Lärms eine Menschenmenge bildete. Sowohl das
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