Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
strömten und das in mein Herz gestopfte Metall erfüllten wie ein elektrisches Kribbeln in meinem Blut.
Als es vorbei war, herrschte Stille. Ich vermute, wir hätten applaudiert, wenn sie etwas in uns gelassen hätte, wenn sie uns mit der Herrlichkeit ihrer Stimme nicht völlig ausgelaugt hätte. Das Mädchen nickte, zufrieden mit unserer Ehrfurcht. Dann zerfiel sie. Ihr Haar und ihr Gesicht zerbröckelten und kullerten an ihrem Körper hinab, bis die Teile auf dem Holzboden der Bühne landeten. Das Mädchen brach zusammen, überzogen von dünnen Blutrinnsalen, die vom Ersatzkörper des Sommermädchens stammten, der sich von der jungen Frau löste. Die Gildenmitglieder eilten vor und sammelten die Scherben des Wunders auf, die sich träge windenden Überreste der Schöpferkäfer. Sie halfen dem Mädchen auf die Beine und geleiteten es von der Bühne. Die junge Frau hielt sich mit einer Hand den Kopf, während ihre Beine zwischen zwei kräftigen Schöpfern hinterhergeschleift wurden. Erst nachdem sie weg waren, nachdem die letzten Brocken des Sommermädchens entfernt worden waren, konnten wir uns dazu durchringen, aufzustehen und der verwaisten Bühne zu applaudieren.
Mein Blick wanderte über die Bühne und heftete sich auf die Dunkelheit, in die man das Mädchen geführt hatte. Dort stand ein Mann, gekleidet in das satte Blau der Schöpfer, wenngleich er den anderen Gildenmitgliedern, die rings um ihn emsig ihrem Handwerk nachgingen, keinerlei Beachtung schenkte. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schien im Schatten der grellen Lichter zu schweben. Langsam drehte er den Kopf, betrachtete das Publikum. Als sein Blick über mich strich, spürte ich einen Schauder des Erkennens. Kalte Augen von fahlem Blau wie Schnee unter Wasser. Er schaute an mir vorbei, hielt inne und richtete das Gesicht erneut auf mich.
Der Mann starrte mich unmittelbar an. Seine Miene war ausdruckslos, vollkommen unbelebt. Wortlos verschwand er von der Bühne.
Die Menschen rings um mich klatschten immer noch. Bis vor wenigen Augenblicken hatte ich in der beengten Hitze des Theaters geschwitzt. Nun gefror mir der Schweiß auf der Haut. Ich sah mich nach einem Ausgang um.
Lady Tomb wartete am Ende meiner Reihe. Sie sah mich direkt an, dann nickte sie und verschwand in der Masse der endlos Applaudierenden. Ich drehte mich um und verließ den Saal.
Kapitel 3
WORTE IN METALL
Ein Mann erwartete mich, einer der Hausbediensteten. Er stellte sich als Harold vor, der persönliche Diener von Lady Tomb. Harold hatte hochstehendes weißes Haar, schütter an den Seiten. Er nickte mir zu, als ich aus dem tosenden Beifall heraustrat, dann drehte er sich um und ging einen Flur entlang tiefer in das Anwesen. Ich sah mich um, aber niemand sonst verließ das Theater. Allerdings musste es noch andere Ausgänge geben, einen Ort, an dem sich die Darsteller ausruhten und zurückzogen, ohne die Gäste zu stören. Harold entfernte sich zusehends, deshalb beeilte ich mich, zu ihm aufzuschließen.
Obwohl es so tief im Inneren des Gebäudes keine Fenster gab, wusste ich, dass es nach wie vor regnete. Die Luft roch nach Wasser und Blitzen. Der Geruch von Blitzen mochte auch von den Reibungslampen stammen, die entlang des schmalen, makellosen Korridors leuchteten, aber wer konnte das schon wissen. Der gesamte Ort stank nach schlechtem Wetter. Die Politur des dunklen Holzes glänzte strahlender als Silber, als ich daran entlangging.
Die Weißmähne führte mich in einen Salon, einen Raum mit tiefblauen Läufern und Wänden aus dunklem Holz und alten Metallbeschlägen. Lady Tomb wartete bereits mit dem Rücken zu mir. Sie trug nach wie vor ihr schwarz-graues Kleid, doch in diesem leeren Raum wirkte die Aufmachung unnötig elegant. Früher einmal mochte das Zimmer eine Bibliothek oder ein Schrein gewesen sein. Auf drei Seiten standen Regalreihen und Glasvitrinen, aber alle präsentierten sich kahl. Nur Staub und die Lady. Sie hielt ein Weinglas und betrachtete eine Tafel an einer Wand. Auf einem Regal an der Tür stand ein weiteres Glas, an dessen Seite sich Kondenstropfen gebildet hatten, die den zierlichen Stiel hinabliefen. Der Diener nickte Lady Tomb zu und ging, schloss die Tür hinter sich. Ich ergriff den Wein und stellte mich neben sie.
»Hat dir unsere Aufführung gefallen, Jacob?«, erkundigte sie sich. Ihre Stimme klang sanft, bar der spöttischen Förmlichkeit von vorher.
»Ja. Es war eine gute Wahl.«
Abwesend nickte sie. »Ich dachte mir
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