Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
wurde. Es war nicht sicher, aber an diesem Tag würde es nicht in sich zusammenfallen. Trotz der zahlreichen Menschen auf der Brücke gaben sich die Jungs keine Mühe, außer Sicht zu bleiben, es würde mir also auf keinen Fall gelingen, genügend Leute zwischen uns zu bringen, um sie abzuschütteln.
Ich ergriff die einzige Möglichkeit, die ich hatte: Ich rannte los. Mit den Ellbogen voraus bahnte ich mir einen Weg durch die Menschenmenge. Die Jungs blieben mir auf den Fersen, ohne sich zu beeilen. Sie verteilten sich lediglich für den Fall, dass ich umkehren sollte, doch sie versuchten nicht, mit mir Schritt zu halten. Und sie sahen mich nach wie vor nicht an. Es schien, als wäre es ihnen egal, sollten sie mich verlieren, sobald ich das andere Ende der Brücke erreichte.
Ich schaute nach vorn und achtete nicht mehr auf sie. Wenn sie nicht kümmerte, was passierte, sobald ich von der Brücke gelangte, konnte das nur bedeuten, dass ich nicht von der Brücke gelangen würde. Ich sah die Falle in Form eines Mannes vor mir, der mich bereits erwartete. Niemand, den ich kannte. Er war nicht so groß wie die anderen, aber sein Mantel fiel unnatürlich über die Schultern. Ich schwenkte nach rechts, und er tat es mir gleich wie ein Drachen an einer Schnur. Der Unbekannte ging ein wenig langsamer als ich, näherte sich mir mit jedem Schritt. Ich bremste jäh ab, blieb beinah stehen. Der Passant hinter mir stieß mit meinem Rücken zusammen und plumpste auf den Hintern. Was immer er getragen hatte, einen Sack oder Korb voll Obst, fiel zu Boden und verteilte sich rollend in länglichen Mustern über das Kopfsteinpflaster. Fluchend stand der Mann auf, doch mein Verfolger von vorn hatte ähnliche Probleme. Eine alte Dame hatte ein Glas mit Kaffee fallen lassen und brüllte dem Rücken des Grobians hinterher, der sich nicht einmal umdrehte. Ich schoss vorwärts und zur Seite, strich mit den Fingern über die Pistole in meiner Jacke, als ich an ihm vorbeilief. Ich riskierte einen Blick zu ihm. Unter seinem Mantel verbargen sich eine Menge Metall und der wirbelnde Tanz kleiner Getriebe und Schwungräder. Unbekümmert schaute er zu mir auf, die Augen tot wie felsige Gruben. Ich drängte mich rücksichtslos durch die Menge und gelangte in eine ruhigere Zone des Verkehrs, einen offenen Hof zwischen zwei Fußgängerströmen. Ich rannte zur anderen Seite, zwängte mich zwischen einem Wurstverkäufer und einem geschlossenen Stand hindurch und gelangte von der Brücke.
Ein vierter Mann. Er legte mir mit gespreizten Fingern eine Hand auf die Brust, hielt den anderen Arm hinter sich versteckt. Lächelnd sah er mir direkt in die Augen.
»Burn. Wohin bist du denn unterwegs?«, fragte er. Cacher. Ein Freund von Emily. Ein guter Freund.
»Keine Ahnung, Cacher.« Ich schaute zurück zu den Orrey-Jungs und dem Metallburschen, die sich gemächlich näherten. »Wohin bin ich denn unterwegs?«
Es war keines der Hafenlagerhäuser, ein gutes Zeichen. Was auch immer los sein mochte, so schlimm konnte es nicht sein. Der dritte Kerl mit den toten Augen blieb mir ziemlich dicht auf der Pelle. Abgesehen von Valentine bestand dieser Bursche aus mehr Metall, als ich je bei jemandem gesehen hatte. Sein Gesicht bildete eine Stahlplatte mit narbigen Kugellagern als Augen, die aussahen wie Flusskiesel. Wie auch immer er sehen mochte, es war anders, als ich es tat. Nur sein Kiefer und die Zähne waren noch original. Als sein Mantel aufklappte, offenbarte sich noch mehr: eine Lage winziger Getriebe, die sich drehten. Ein Großteil davon diente vermutlich nur der Optik, trotzdem merkte ich mir in Gedanken vor, diesem Kerl nie in den Magen zu schlagen. Wahrscheinlich würde ich in dem mahlenden Räderwerk meine Knöchel verlieren. Er ließ diese toten Augen unbeirrt auf mich gerichtet.
Die anderen gebärdeten sich völlig zwanglos, als wären wir Kumpels auf einem Spaziergang. Verdammt, in gewisser Weise waren wir Kumpels. Wenn sich Emily im Raum befand, fühlte ich mich zwar in Cachers Gegenwart nicht immer wohl, aber insgesamt kamen wir recht gut miteinander aus.
»Der Boss hätte auch einfach ein Treffen vereinbaren können«, meinte ich. »Mein Terminkalender ist frei.«
»Ich schätze, das hat er gerade getan, Burn«, gab Cacher zurück. Er grinste. Schwarze Schmiere überzog seine Zähne, Schlieren von der Cassiopia, die er sich in die Wange gesteckt hatte. »Muss wohl ein dringendes Treffen sein.«
»Schon möglich. Trotzdem.« Ich zuckte mit den
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