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Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz von Veridon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Akers
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stand auf und verschob einen der Tische so, dass er den kurzen Gang zur Tür blockierte. »Die werden nicht das Risiko eingehen, sich hereinzuschleichen oder das Gebäude zu räumen. Sie werden uns ausräuchern.«
    »Das glaube ich nicht«, meinte Wilson von hoch oben. »Die haben genug Leute da draußen. Sie scheinen bedacht darauf, uns lebendig zu fassen.«
    Ein dickes Seil fiel in der Mitte des Raumes herab. Das obere Ende lag in der Dunkelheit verborgen. Ich ergriff meine Tasche.
    »Steh auf«, drängte ich Emily. »Sie werden ein paar Minuten warten, bevor sie es noch einmal versuchen.«
    »Nach dir«, gab sie zurück. »Ich will nicht, dass du mir unter den Rock gaffst, während ich klettere.«
    »Du meine Güte. Die pingeligste Hure in Veridon. Fast glaube ich …«
    Sie legte wirklich Kraft in den Schlag. Ihr Handballen prallte gegen meinen Kiefer, presste meine Zähne auf meine Zunge und ließ meinen Kopf herumwirbeln. Ich plumpste auf den Boden.
    »Behalt die verdammte Tür im Auge«, spie sie mir entgegen, bevor sie das Seil mit ihrem Ranzen auf dem Rücken erklomm. Ich wartete, bis sie den Boden ein gutes Stück hinter sich gelassen hatte, ehe ich ihr folgte. Aus meinem Mund tropfte Blut.
    Auf dem Dach schien Wilson wieder in sein zivilisiertes Gebaren verfallen zu sein. Die Beine hatte er zwar nach wie vor draußen, und seine Augen wirkten immer noch wild, aber als er sprach, klang er besonnen. Er kauerte auf einem Turm und klammerte sich mit den Beinen an der Windfahne fest, während er in den Händen ein langes Gewehr hatte. Das Seil kam durch ein Dachflächenfenster, das den Turm umgab. Die Scheiben waren mit Pech geschwärzt. Das gesamte Dach neigte sich gefährlich der Straße zu. Ich hielt mich am Seil fest und hockte mich hin.
    Diese Ansammlung von Gebäuden befand sich auf einer schmalen Terrasse zwischen breiteren Vierteln. Der gesamte Stein hatte sich gesetzt wie müde Soldaten am Ende eines jahrhundertelangen Marsches. Die engen, verwinkelten Straßen strotzten vor Ordnungshütern. Wilsons Gebäude grenzte an einen kleinen Platz, der einen Bestandteil des alten Akademikerviertels aus der Zeit vor der Herrschaft des Algorithmus bildete. Alle Mauern standen dicht beisammen. Stein und moosbewachsene Traufen warfen Schatten auf die Straßen. Diese waren nicht für die großen, automatisierten Droschken gebaut, die den Verkehr im modernen Veridon dominierten. Die Ordnungshüter hatten sämtliche Wege versperrt. Ich konnte zwei große Gruppen der grau uniformierten Beamten sehen, die in Gruppen herumstanden oder im Viertel an Türen klopften. Der Himmel präsentierte sich schiefergrau mit einer niedrigen Wolkendecke, die mit Regen drohte.
    »Und was sollen wir jetzt machen? Etwa fliegen?«, flüsterte Emily.
    »Wir gehen über die Dächer, bis sie uns sehen. Wenn die Luftschiffe ins Spiel kommen, müssen wir in den sauren Apfel beißen und über die Straßen einen Ausweg finden.« Wilson überprüfte die Ladung seines Gewehrs, dann trippelte er das Dach hinunter. Wir folgten ihm, allerdings vorsichtig.
    Wilson führte uns zu etwas, das wie ein Lagerhaus aussah. Sein Gebäude gehörte zu einem akademischen Komplex. Der gesamte Block schien verlassen zu sein. Zu dem Lagerhaus zu gelangen, erwies sich als heikel, aber anscheinend hatte Wilson diesen Weg bereits geübt. Er huschte das Dach hinunter, sprang über die Gasse hinweg und rollte sich hinter einen Schornstein. Emily und ich warteten an der Regenrinne und sahen einander nervös an, bis der dürre Anansi mit einem Brett wieder auftauchte. Es war nicht breit genug für eine bequeme Überquerung, trotzdem schafften wir es. Er zog das Brett gerade zurück, als er mit bleichem Gesicht plötzlich innehielt.
    »Der Käfer.« Er drehte sich uns zu. »Habt ihr ihn?«
    »Ich nicht«, gab ich zurück. »Emily? Wohin hast du die kleine Flasche getan?«
    »Zurück auf den Tisch. Ihr könnt ja einen neuen anfertigen.«
    »Ich muss zurück«, sagte Wilson und schob das Brett an seinen ursprünglichen Platz. Seine Spinnenbeine zuckten spastisch, und ihre harten Klauen klickten gegen die Ziegelsteine der Lagerhausmauern. »Ich weiß zwar nicht, was das Muster bedeutet, aber ich will es auf keinen Fall den Ordnungshütern überlassen.«
    »Wir warten«, schlug ich vor.
    »Nein. Geht das Dach hier runter. Ohne meine Hilfe dürfte es euch schwerfallen, auf andere Gebäude zu gelangen. Hier gibt es einen Dachzugang von diesem kleinen Schuppen aus, eine Treppe, die

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