Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz von Veridon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Akers
Vom Netzwerk:
Sommermädchen , wenn man darüber nachdachte. Mich schauderte. Die Aufführung beachtete ich nur halbherzig.
    Sie erzählten die Geschichte gut, präzise, trafen jedes Stichwort, gaben jede Zeile wieder. Aber natürlich ging diese Perfektion auf Eigendünkel zurück, denn dies waren nicht die Schauspieler irgendeines Theaters. Dies war das SchwarzEisen , berühmt und unvergesslich, der Stolz Veridons. Diese Schauspieler waren Kunstwerke, Darstellermaschinen aus Mechagenen, für jede Aufführung speziell zusammengesetzt, jeden Abend neu geschaffen.
    Während ich im düsteren Saal stand, erschien Camilla selbst auf der Bühne. Die Einleitung war vorüber, und die Himmelfahrt begann. Ich hatte das schon Dutzende Male gesehen, trotzdem bannte es meine Aufmerksamkeit erneut. Der Direktor des Theaters war ein kluger Mann, der die Darstellermaschinen jeden Abend umbaute, den Mechagenen neue Reaktionen entlockte, sodass jede Aufführung etwas anders verlief, etwas … perfekter.
    Camilla erschien aus der Falltür in der Mitte, hoch auf der Bühnenpalette. Ungehindert von den Regeln der Biologie entfaltete sie sich zu ihrer vollen Größe, die übertrieben war, damit das Publikum sie besser sehen konnte. Im SchwarzEisen gab es keine schlechten Plätze. Die Stimme des Mädchens ertönte sanft und leise, aber völlig klar. Die junge Frau sang von ihrer Familie, die von der Flut über die Wasserfälle mitgerissen worden war. Ihre Stimme schwankte, als sie fortfuhr und ihre Krankheit beschrieb, den Verfall ihrer Lungen, die Schwäche ihres Herzens. Mein Herz versagt, es entschwindet. Mein Herz ist leer, es entschwindet. Ich flüsterte den Text mit.
    Eine weitere Stimme abseits der Bühne stimmte in die ihre mit ein. Der Kirchenvertreter, der Erschaffer. Seine braunen Gewänder und ölverschmierten Hände gerieten surrend entlang einer Schiene in Sicht. Ihre Stimmen vereinten sich, setzten das Lied fort und schwollen an, bis der Saal vor ihrer Krankheit und seiner Lösung für ihr Problem erzitterte. Dann begann der komplexe Trick, der den Kern des Spektakels bildete. Zuerst spreizten sich ihre Arme übertrieben, und der Erschaffer fügte etwas hinzu, tauschte etwas aus, erschuf etwas, machte mehr aus ihr, etwas Komplizierteres.
    Ich senkte den Blick. Es war eine Metapher für die Stadt. Was wir auch waren, was wir an Macht besaßen, dahinter stand die Kirche. Ihr Gott war die geheime Maschine, und ihr Kult war die Mechagenetik, die den Rest der Stadt antrieb. Sie ließen es uns nicht vergessen, weder die Familien noch die gewöhnlichen Bürger. Die Kirche verkörperte den Motor, wir waren das Getriebe.
    Ich schaute auf und erblickte den Mann, den ich suchte. Er befand sich allein in einer Loge der oberen Reihen. Verfügbar, aber diskret. Ich ging hinauf und setzte mich in seine Loge. Er wirkte erschrocken, sowohl, bevor er mich erkannte, als auch danach. Matthew Vier war ein älterer Mann mit perfekt frisiertem Haar und stark gepudertem Gesicht, in dem sich sein Alter deutlich abzeichnete. Seine Haut wirkte wie vergilbtes Pergament.
    »Mr Burn«, sagte Matthew. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie in der Stadt unterwegs sind.«
    »Wieso das, Mr Vier?«
    »Wegen einiger Dinge, die ich gehört habe, verschiedener Gespräche, die man derzeit so führt.«
    »Gespräche?«
    Er nickte, dann hob er langsam die Hände unter dem Tisch hervor und legte sie flach auf das Leinen.
    »Sie sorgen für jede Menge Gesprächsstoff.«
    »Und verraten Sie mir auch, was das für Gespräche sind, Matthew?«
    Er zuckte mit den Schultern. Ich rollte eine Münze über den Tisch. Er ergriff sie und bedachte mich für mein indiskretes Verhalten mit einem missbilligenden Blick, bevor er seine Aufmerksamkeit der Bühne widmete. Ich wartete. Mein Blick wanderte zwischen Matthew und der Vorstellung hin und her.
    »Wie lange kenne ich Sie jetzt schon, Jacob?«, fragte er schließlich.
    »Keine Ahnung. Eine Weile.« Auf der Bühne setzte sich die Himmelfahrt fort. Camilla hatte sich in etwas Groteskes verwandelt. Ihre Rippen bildeten einen breiten, weißen Käfig, in dem sich der Mechanismus der Himmelfahrt befand. Der Erschaffer stand unter ihr und schnitt ihre Beine behutsam mit einer Gartenschere ab.
    »Eine Weile.« Matthew nickte. »Eine ganze Weile. Den Großteil Ihres Lebens würde ich sagen. Und in all den Jahren habe ich einige Dinge gesehen.«
    Mittlerweile war die Aufführung sehr laut geworden. Das Himmelfahrtslied wurde von der Bühne geschmettert.

Weitere Kostenlose Bücher