Das Hexenkreuz
Nachdem sie sich rasch angekleidet hatte, machte sie sich auf
den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Vorher musste sie Odette loswerden und schickte
sie unter dem Vorwand, dass sie hungrig wäre, in die Küche. So wie sich die
Damen von Versailles gleitend fortbewegten, so beherrschte Odette die Methode
des Schleichens. Emilia war sich darüber im Klaren, dass Carlo Odette den
Auftrag erteilt hatte, sie während seiner Abwesenheit zu bespitzeln.
Das junge
Mädchen, das ihr den Zettel zugesteckt hatte, erwartete sie an der Ecke und
ging ihr voran. Sie konnte unnachahmlich gut gleiten. Ohne sie hätte sich Emilia
in den weitläufigen Fluren des Versailler Schlosses verlaufen. Die Favoritin
erwartete sie bereits vollständig angekleidet und frisiert in ihrem Appartement.
Sie sah frisch und rosig aus und die ungepuderte blonde Haarfülle floss ihr in
weichen Wellen über die wohlgeformten, entblößten Schultern. Emilia versank vor
ihr in eine tiefe Referenz. Das gefiel der Gräfin und sie lächelte wohlwollend.
Aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft, aber vor allem in ihrer Eigenschaft als
frühere Pariser Kurtisane galt sie bei Hofe als nicht gesellschaftsfähig. Hinter
ihrem Rücken war sie permanent den Anfeindungen des Adels ausgesetzt. Besonders
gemein waren die an Boshaftigkeit reichhaltigen Schmähschriften über sie und
den König, die in Paris wie Schnee von den Dächern fielen und dessen
Urheberschaft sie den Duc de Choiseul und einige Parlamentsmitglieder verdächtigte.
Der König geruhte wie immer diese nicht zur Kenntnis zu nehmen, doch der Gräfin
lagen diese Pamphlete wie Steine im Magen.
Nach dem
Austausch der üblichen Floskeln konnte die Favoritin ihre Neugier nicht länger
zurückhalten. Aufgrund ihrer Position wurde sie mit vielen Bittstellern konfrontiert,
die sich durch sie eine Vergünstigung durch den König erhofften. Die Favoritin
galt als weniger intelligent als ihre berühmte Vorgängerin, die Marquise de
Pompadour, doch sie hatte ein freundliches, gewinnendes Wesen und galt als
gutmütig: “Ihr habt mich um dieses Gespräch gebeten, Herzogin?“
Angesichts
der Tatsache, dass ihre Zeit knapp bemessen war, hielt sich Emilia nicht mit
langen Vorreden auf: „Ich bin hier, Gräfin, weil ich Euch um Eure Hilfe bitten
möchte.“
Also
doch, dachte die
Favoritin. Sie lächelte huldvoll: „Sprecht.“
„Mir wurde
zugetragen, dass Ihr mich als Rivalin betrachtet, Gräfin. Ich bin es nicht. Im
Gegenteil. Ich würde mich liebend gerne der Huldigung des Königs entziehen.“
Der aufrichtig
verblüffte Ausdruck auf dem Gesicht der Favoritin hatte etwas Rührendes an
sich, der nah an unfreiwilliger Komik wandelte. Offenbar glaubte sie, sich
soeben verhört zu haben. Am Hofe drehte sich ausschließlich alles darum, die
Aufmerksamkeit des Königs auf sich zu lenken. Die gesamte Existenz des Hofes
baute darauf - es war die Substanz, die ihn zusammenhielt und die Gegenwart
seiner Majestät erhöhte! Man würde sich gegenseitig ermorden, wenn man daraus
einen Vorteil bei seiner Majestät schlagen könnte. Die Du Barry fand sich tatsächlich
mit einem nie gekannten Dilemma konfrontiert. Ohne Zweifel wusste sie nicht, ob
sie beleidigt oder betroffen reagieren sollte. Oder war die junge Italienerin
einfach nur verrückt? „Verzeiht, aber habe ich Euch eben richtig verstanden?
Ihr seid nicht an der Gunst des Königs interessiert?“, tastete sie sich heran.
„Nein,
keineswegs. Mein Interesse gilt allein der Freiheit.“
„Freiheit?
La Liberté? Wie …?“ Die Gemütsverfassung der Gräfin steigerte sich zu absoluter
Ratlosigkeit.
„Ich werde
versuchen, es Euch zu erklären. Meine Ehe wurde aus sogenannten dynastischen
Gründen arrangiert. Sagt, sind Euch die genaueren Pläne und Absichten meines
Gemahles geläufig?“ Emilia hatte ihre Stimme wie bei einer Frage erhoben.
„Der König
hat geruht, sie mir anzuvertrauen. Euer Gemahl gibt vor, ein Verwandter zu sein
und erhofft von seiner Majestät die Anerkennung dieser Verwandtschaft zu
erringen.“
Emilia
nickte. „So ist es. Ich teile die Pläne meines Gemahls keineswegs, außerdem
wünsche ich nicht mit ihm verheiratet zu sein. Ich will ihn verlassen.“
„Wie, Ihr habt
vor, ihn zu verlassen? Gegen seinen Willen? Aber er ist von hoher Geburt, jung,
stattlich und märchenhaft reich!“ Offenbar genügten diese Attribute im
Universum der Favoritin, um ihn zu einem idealen Ehegatten zu prädestinieren.
Emilia
seufzte innerlich und spielte mit
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