Das Hexenkreuz
gleichmütig zu klingen.
Ihren Bruder
konnte sie nicht täuschen. Ein leises Lächeln huschte über sein Gesicht, als er
antwortete: „Der Principe hat noch einiges für eure Abreise vorzubereiten. Er
wird am Nachmittag zurückerwartet. Ich muss euch ebenfalls verlassen. Auch
meiner harren einige Pflichten.“ Er griff sich einen prallen roten Apfel und
stand auf.
„Du willst schon
gehen?“, rief Emilia enttäuscht.
„Keine
Sorge. Ich werde ebenfalls am Nachmittag zurück sein. Vittoria wird dir und
Serafina solange Gesellschaft leisten. Denkt daran, den Palazzo nicht zu
verlassen. Keiner darf euch sehen“, wies er nochmals extra darauf hin.
„Aber wir
haben noch gar nicht abschließend geklärt, wohin unsere Reise gehen soll“,
wandte Emilia am Rande der Empörung ein. Sie war davon ausgegangen, dass das
unfertige Gespräch heute Morgen zu Ende geführt werden würde. Natürlich mit dem
Ergebnis, dass sie ihren Willen durchsetzte. Sie wollte soeben ihren Mund
öffnen, um zu protestieren, als Emanuele ihr zuvor kam. „Eines nach dem
anderen, Schwesterherz“, erklärte er ruhig. „Ob Frankreich oder Amerika spielt
zunächst keine Rolle. Erst einmal müssen wir dich sicher aus Rom
herausschaffen. Danach sehen wir weiter. Ich muss nun wirklich aufbrechen. Mein
Prinzipal erwartet mich.“ Er küsste Emilia zum Abschied auf die Stirn. Emilia
blickte ihrem Bruder nachdenklich hinterher. Ihr wurde bewusst, wie erwachsen er
in den Jahren fern von ihr geworden war. Gemessen an ihm, kam sie sich dumm und
provinziell vor. Einige Jahre in Assisi hätten ihr sicher nicht geschadet,
gestand sie sich ehrlich ein. Sie wusste nicht einmal, wie sich eine Dame bei
Tisch richtig benahm. Allein wie elegant Vittoria das Besteck handhabte und
sich jedes Mal mit der Damastserviette den Mund betupfte, bevor sie trank ... Francesco
muss mich für einen ungebildeten Bauerntrampel halten. Kein Wunder, dass
er mir keine Beachtung schenkt. Das brachte sie auf einen Gedanken. Prüfend
musterte sie Vittoria. Sie verhielt sich erstaunlich still und öffnete den Mund
nur, um an ihrem Kaffee zu nippen oder ein Löffelchen Erdbeersorbet zu sich zu
nehmen. Es schmeckte übrigens köstlich und zerging wie eine Wolke auf der
Zunge, obwohl Emilia Fruchtsorbet am Morgen etwas befremdlich erschien.
Serafina kannte diese Form der Bedenken nicht; sie delektierte sich bereits an
ihrer zweiten Portion. Sie hatte Emilia zwischendurch zugeflüstert, dass sie
fest entschlossen war, vor ihrer Abreise noch so viel Nahrung wie möglich zu
absorbieren.
Erneut
wandten sich ihre Gedanken Vittoria oder vielmehr ihrem Bruder Francesco zu.
Dass Vittoria sich derartig ruhig verhielt, konnte nur eines bedeuteten:
Emanuele hatte ihr vorhin unter vier Augen die Leviten gelesen.
Die junge
Principessa fürchtete offenbar zu Recht, dass wenn sie ihren Mund, ausgenommen
zur Nahrungsaufnahme, öffnen würde, weitere unbedachte Bemerkungen daraus
hervorsprudeln könnten. Emilias Neugier siegte über Emanueles Warnung:
„Vittoria, du hast da vorhin etwas erwähnt, dass mir seitdem keine Ruhe lässt.
Was ist deinem Bruder so Schreckliches widerfahren, das ihn für jede Freude
unempfänglich macht?“
Vittoria sah
Emilia erschrocken an und Serafina sprang in die Bresche. „Emilia! Warum kannst
du nicht ein einziges Mal auf deinen Bruder hören? Die Erfahrungen des Principe
gehen uns nichts an. Willst du Vittoria unbedingt Unannehmlichkeiten bereiten?
Das wäre nämlich das Einzige, was bei deinem Insistieren herauskäme. Willst
du?“ Sie machte keinen Hehl aus ihrer Verärgerung.
„Natürlich
nicht“, erwiderte Emilia kleinlaut und widmete sich ihrem Sorbet. Sie kam sich
reichlich ungeschickt vor. Warum hatte sie nicht darauf gewartet, bis sich
eine Gelegenheit ergeben hätte, alleine mit Vittoria zu sprechen? schalt
sie sich. Natürlich musste sich Serafina einmischen. Weil sie sich nicht über
ihre eigene Dummheit ärgern wollte, entlud sich ihr Zorn auf ihre Freundin. Sie
schoss einen flammenden Blick auf sie ab. Doch Serafina reagierte nicht. Mit
gerunzelter Stirn starrte sie ihr Sorbet an, als handelte es sich um ihren
eingeschworenen Feind. Emilia fand ihr Verhalten merkwürdig. Sie spürte aber
selbst, wie ihr Zorn langsam verpuffte. Es war nicht mehr wichtig. Eine
plötzliche Trägheit hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie gähnte und stupste das
leere Schüsselchen an. Es kreiselte einmal um sich selbst. Das schwere Silber
verursachte keinerlei Geräusch
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