Das Hexenmal: Roman (German Edition)
hatte. Mit sich zufrieden, ging Milchkarl zu seinem Freund Heinrich, um ihm den Verlauf des Abends zu schildern.
Kapitel 12
Ohne zurückzublicken verließen die beiden Mönche den Ort des Geschehens. Sie hatten sich Händlern aus Württemberg angeschlossen und wollten mit ihnen schnellstens weiterziehen. Auf einem Holzkarren, der von zwei Mauleseln gezogen wurde,
saßen ein grauhaariger Mann namens Aloys Kunkell und dessen Sohn Sebastian. Die Kaufleute führten neue Stoffe sowie Zierbänder aller Art und sonstiges Zubehör mit. Sobald die trockenere Jahreszeit angebrochen war, warben sie außerhalb ihrer Landesgrenzen um neue Kunden. Bei Regen und Schnee war dies unmöglich, da die meisten Wege unbefestigt waren und sie im tiefen Schlamm steckenbleiben würden. Doch momentan war die Reise eine wahre Freude, denn das Wetter meinte es schon seit Tagen gut mit ihnen. Aber das schöne Wetter würde nur von kurzer Dauer sein, dessen waren sie sich gewiss, und das galt es auszunutzen. Ein fröhliches Lied pfeifend, saßen die beiden Kunkell-Männer auf ihrem Karren und ließen sich die Sonne ins Gesicht scheinen.
Der Franziskaner Servatius führte die Esel an ihren Kopfgestellen, da die Tiere sonst bei jedem Grasbüschel stehen geblieben wären. Während des Gehens unterhielt er sich mit einem Mann, der neben ihm schritt. Da das Reisen allein gefährlich werden konnte, hatte sich der Fremde schlauerweise den Händlern angeschlossen. Überall lauerten Strauchdiebe, die einem sogar wegen ein paar Kupferpfennigen die Kehle durchschneiden würden. Doch in Begleitung von vier weiteren Männern würde es keiner wagen, einem zu nahe zu kommen.
Der junge Mönch Burghard folgte dem Tross als Letzter. Er wollte mit niemandem reden. Immer wieder sah er die hasserfüllten Augen des Mannes vor sich, der ihm anderentags bei der Hexenverbrennung begegnet war. Und auch dessen Worte hörte er in seinem Kopf nachhallen. Der Junge verspürte den Zwang, sich umzudrehen, um noch einmal auf das Dorf zu sehen, doch er hatte Angst, dass der Mann irgendwo stehen und ihn beobachten würde.
Die Geschehnisse der letzten Tage hatten den jungen Franziskaner ausgelaugt und erschöpft. Wie gern hätte er sich in den kühlen Schatten eines Baumes gesetzt, sich ausgeruht und alle
Gedanken hinter sich gelassen. Er versuchte sich zu entspannen, an etwas Schönes zu denken, doch das Schuldgefühl blieb. Der Mann hatte gesagt, dass die Frau zu Unrecht verbrannt worden sei, dass sie nie und nimmer eine böse Frau war. Wenn das der Wahrheit entsprach, dann war er, Burghard, mitschuldig. Auch wenn er selbst nicht Hand an die Frau gelegt hatte, so fühlte er sich doch für ihren Tod und den des ungeborenen Lebens mitverantwortlich. Ja, er hatte zwei Menschen auf dem Gewissen, denn er hatte nichts getan, um ihren Tod zu verhindern. Stumm war er geblieben, wo er doch hätte sprechen müssen. Immer öfter machte sich Burghard Gedanken über die Verurteilung der Hexen. Zwar war er sich sicher, dass böse Frauen, die einen Pakt mit dem Teufel eingegangen waren, bestraft werden mussten, aber woran erkannte man diese? Jede Beschuldigte gestand meist erst unter der Folter, was man ihr vorwarf. Er hatte zwar schon von Fällen gehört, in denen sich die Frauen selbst angeklagt hatten, Unzucht mit dem Teufel getrieben zu haben, aber das kam eher selten vor. Die Kopfschmerzen kehrten wieder, und plötzlich hörte Burghard eine Stimme in seinem Kopf, die ihn auslachte.
Wie töricht du doch bist, Burghard! Zählst du die Frau in Friemar nicht dazu? Nur weil sie auf dem Weg zum Scheiterhaufen vom Henkerskarren fliehen konnte? Auch bei ihr bliebst du stumm. Um dem Feuer zu entkommen, ist sie ins Wasser gesprungen und kläglich ertrunken.
Burghard widersetzte sich in Gedanken der Stimme, denn schließlich konnte er ja nichts dafür. Nicht er hatte die Urteile gesprochen oder vollstreckt. Was konnte er dagegen tun, dass man Servatius als Beichtvater eingesetzt hatte und dieser ihm befohlen hatte, bei den Prozessen dabei zu sein? Wie sollte er sich gegen den Befehl des Bruders wehren, wo er sich doch in Gehorsam üben musste? Außerdem war er nur ein unwissender Postulant, der sich noch zu prüfen hatte!
Er versuchte sich wieder zu beruhigen und murmelte leise: »Du musst dich in Gehorsam üben!«
Dabei griff er an sein Zingulum und berührte die drei Knoten des hellen Stricks. Lautlos wiederholte er ihre Bedeutung. Der Strick um seinen Bauch gab ihm Halt im Zweifel.
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