Das Hexenrätsel
mitnehmen, das mich mein Leben über begleitet hatte. Deshalb stieß ich es mir kurz vor meinem Tod in den Hals. Ich starb, aber das Schwert nicht, und mein Geist ebenfalls nicht, denn er ist mit dem Schwert vereint. Wir bilden eine Gemeinschaft, eine Symbiose. Hinzu kommt die Schlange. Seit Urzeiten verkörpert sie den Begriff des Bösen. Die Schlange kann man nicht töten, sie wird immer überleben, denn auch das Böse überlebt. Ich bin das beste Beispiel, denn ich habe den Tod überwinden können. Die Schlange, das Schwert, mein Geist - sie zusammen haben die Hexen vernichtet.«
»Wann hast du sie getötet?« fragte Gaby.
»Vor langer Zeit, als ich in dieser Gegend lebte. Ich war oft auf der Burg. Man hat mir die Hexen zugetrieben, die ich köpfen konnte.«
»Und jetzt?« fragte Gaby.
»Wirst du das Schwert nehmen. Denn du bist meine Nachfolgerin. Weißt du, was das bedeutet?«
»Ich… ich soll töten?«
»Ja, du wirst töten. Das heißt, das Schwert wird es für dich erledigen. Es spürt Feinde und Hexen auf. Du brauchst nichts anderes zu machen, als es zu führen. Alles andere überlasse mir, dem Hexenjäger Baldur von der Lenne.«
»Aber wieso jetzt gerade? Warum habe ich dich gefunden?«
Da hörte sie das Lachen. »Weil ich es so gewollt habe. Ich spürte im Reich der Toten, daß jemand nach mir fassen will. Es ist einer unterwegs, um das Schlangenschwert an sich zu nehmen, denn einer will es unbedingt bekommen.«
»Wer ist es?«
»Eine Frau, eine Hexe, die die Kraft des Schlangenschwertes kennt. Sie will sich damit heilen, aber es darf ihr nicht gelingen, die Waffe in die Hände zu bekommen. Damit muß sie vernichtet werden. Wirst du das auch übernehmen?«
»Ich tue alles für dich.«
Die Stimme lachte. »Das ist gut, meine liebe Gaby. Du bist von nun an meine Dienerin, du gehörst zu mir und wirst meinen Befehlen gehorchen. Wenn du das tust, kann es dir nur gutgehen, denn auch mir und meinen Adepten ging es früher sehr gut, wenn sich die Diener nur nach mir gerichtet haben.«
Gaby Schreiber hatte sich wieder auf den Rücken gelegt. Sie atmete schwer. Es war ein wenig zuviel, was auf sie in den letzten Minuten eingestürmt war.
Ihr hatten sich völlig andere Welten eröffnet. Sie war mit Magie konfrontiert worden, und darüber konnte sie kaum hinwegkommen. Auch hatte sie die Stimme gehört, aber es war ihr nicht möglich gewesen, den Sprecher zu sehen.
Wo steckte er? Das wollte sie herausfinden, deshalb formulierte sie mit zitternden Lippen die nächste Frage: »Wo hältst du dich verborgen, Baldur von der Lenne? Zeige dich mir!«
»Willst du mich denn sehen?«
»Ja, ich will es!«
»Dann drehe dich um und schaue genau auf die Klinge des Schlangenschwerts. Da wirst du mein Gesicht sehen.«
Gaby Schreiber hatte plötzlich Angst vor der eigenen Courage. Sie zögerte, sich dem Unerklärlichen zu stellen, denn sie empfand es bisher noch als Traum.
»Sieh mich an!«
Sie konnte nicht mehr anders, drückte ihren Oberkörper hoch und schaute auf die Klinge.
Sie sah das Gesicht. Ihre eigenen Züge erstarrten. Nie hätte sie so etwas für möglich gehalten, aber es war keine Täuschung. Das Gesicht des Baldur von der Lenne zeigte sich auf oder in der Schwertklinge. Dabei war es sehr deutlich zu sehen.
Eine bräunliche Haut besaß der Geist. Kalte Augen leuchteten in den tiefliegenden Höhlen. Sie besaßen einen blauen, stählernen Schimmer. Die Nase wirkte wie ein Klumpen, der Mund bildete zwei dünne Striche, dafür war die Kinnpartie ausgeprägt.
Ein schauriges, unheimliches Bild, das sich innerhalb der Schwertklinge abzeichnete und allmählich verblaßte. »Ist es gut so?« hörte sie wieder die Stimme.
»Ja, ich habe dich nun gesehen.«
»Und glaubst du mir jetzt?«
»Auch das!«
»Noch einmal. Du stehst nun auf meiner Seite. Wer gegen dich ist oder dich stören will, wird von dem Schwert vernichtet. Dabei brauchst du es nicht einmal selbst zu führen. Es reagiert auf deine Gedanken, denn sie und meine Kraft leiten es dem eigentlichen Ziel zu. Sobald jemand kommt, der etwas von dir will oder dir nicht wohlgesonnen ist, reagiert es. Setze meine Taten fort. Auch heute gibt es noch Hexen. Und du wirst sie aufspüren, das andere übernimmt das Schwert…«
Es waren die letzten Worte, die Gaby Schreiber vernahm. Als sie verklungen waren, drehte sie sich um und schaute auf die Klinge. Kein Gesicht war mehr zu sehen. Sie sah völlig normal aus. Nur noch der leichte blaue Schimmer.
Gaby
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