Das Hiroshima-Tor
›Emergency Room‹ angucken.«
»Moment mal, ich dachte, wir reden über die Möglichkeit
intelligenten
Lebens«, sagte Timo und scheuchte Aaro mit einer Handbewegung davon.
»Kann sein, dass der Rechner hängen bleibt«, sagte Aaro von der Tür aus. »Was hoffentlich der Fall sein wird, damit du endlich
glaubst, dass DSL und ein neuer Computer notwendig sind.«
Er huschte aus dem Zimmer, und Timo rief die Suchmaschine auf. Ins Suchfenster bei Google schrieb er »Vaucher-Langston«. Diesmal
sah er sich die Treffer genauer an. Wie üblich waren sie völlig ungeordnet, aber es kristallisierten sich drei Personen heraus,
auf die ständig verwiesen wurde: der Künstler Henri Vaucher-Langston, der Historiker J. B. Vaucher-Langston und der Geschäftsmann David Vaucher-Langston.
Timo öffnete einige Seiten, die mit dem Geschäftsmann zu tun hatten, darunter ein Artikel des australischen ›Sydney |121| Morning Herald‹. Demzufolge war David Vaucher-Langston 1994 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er radioaktiv
belasteten Metallschrott aus Wladiwostok eingeschmuggelt hatte.
Der Hinweis auf Russland weckte Timos Interesse. Wo war David Vaucher-Langston 1989 gewesen? Und wo war er jetzt?
In dem Moment blieb der Computer hängen. Timo fluchte.
»Aaro«, brüllte er.
Aaro kam sogleich angeschossen. »Siehst du.«
»Schon gut. Ich mach später weiter.«
Nachdem er etwas von Reijas Wurstsuppe gegessen hatte, versteckte Timo die Kopien des Seine-Materials im Kleiderschrank und
suchte sich eine Videokassette aus dem Regal: Rossellinis ›Rom, offene Stadt‹ aus dem Jahr 1945. Das beruhigte ihn und brachte ihn wenigstens kurz auf andere Gedanken. Nur eines störte ihn: Anna Magnanis Augen und Mund
erinnerten ihn an Heli Larva.
Carla summte ein altes chinesisches Kinderlied vor sich hin, während sie auf der belebten Florianska-Straße in der Altstadt
von Krakau zum Marktplatz mit den Tuchhallen ging. Sie hatte sich die Adresse von Bronislaw Zeromski, die sie von Jørgensen
bekommen hatte, eingeprägt. Wie eine gewöhnliche Touristin hielt sie einen Stadtplan in der Hand. Sie trug Jeans und eine
Jacke aus braunem Wildleder.
Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, und die schwachen Straßenlampen brannten. Von einem schiefen, alten Dach flog
eine einsame Krähe auf. Als Carla den riesigen mittelalterlichen Platz erreicht hatte, setzte sie ihren Weg an der winzigen
Adalbert-Kirche vorbei in kleine Seitenstraßen fort, die von Viertel zu Viertel schmaler wurden. Im neuen Teil der Stadt hatten
ihr Jugendliche hinterhergerufen, aber auf der Altstadtseite war es ruhig.
Nach einigen hundert Metern bog sie in die Sienkiewicza ein, eine Gasse, die von Häusern in schlechtem Zustand gesäumt |122| war. Carla folgte den abnehmenden Hausnummern und behielt dabei die Umgebung im Auge.
Jørgensen hatte per Telefon nicht herausgefunden, wo Zeromski Urlaub machte, darum hatten sie beschlossen, es durch einen
Besuch in seiner Wohnung zu klären.
Jørgensen war vorerst noch in Cambridge geblieben, wo eine Gruppe von vier Amerikanern eingetroffen war, um Vaucher-Langstons
Archiv zu durchforsten. Die Amerikaner hinkten hinterher, kamen aber trotzdem voran – wenn auch langsam, jedenfalls am Trinity
College.
|123| 18
Nachdem Aaro am Mittwochmorgen zum Schulbus gegangen war, nahm Timo vorm Computer Platz. Er war deprimiert und besorgt.
Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder er setzte die Ermittlungen auf eigene Faust fort, in der Hoffnung, etwas auszugraben,
das die Echtheit der Diskette bewies. Oder er warf das Handtuch.
Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer. Er aktivierte die Modemverbindung und machte dort weiter, wo er am Vorabend aufgehört
hatte. Das Internet war nun das einzige Archiv, das ihm zur Verfügung stand.
Er benutzte verschiedene Suchmaschinen und machte sich zu Vaucher-Langston eine Seite Notizen. Der letzte Hinweis auf den
Mann fand sich in Südafrika, wo er für eine Consulting-Firma in der Bergbaubranche gearbeitet hatte.
Reija klopfte an die Tür. »Ich gehe in die Stadt und komme gegen drei zurück.«
»Nur zu.« Timo merkte, dass seine Stimme fast apathisch klang. Ob Reija ihm seine Erklärung für den freien Tag glaubte? Er
hustete und bemühte sich um einen etwas forscheren Ton. »Ich werde auch zwischendurch was erledigen gehen.«
Nachdem Reija weg war, rief Timo sicherheitshalber den Notar an, der den Hauskauf abgewickelt
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