Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
kreiseln sie in meinem Kopf und werden immer größer. Wohin ich blicke, sehe ich Katastrophen. Es ist schrecklich. Ich könnte heulen. Aber ich darf nicht weinen. Ich bin auf einer Superjacht. Ich muss strahlen und gut drauf sein und irgendwie mein Dekolleté aufpumpen.
Ich beuge mich über die Reling des Decks, auf dem ich stehe, und frage mich, wie weit es bis hinunter zum Wasser sein mag. Soll ich springen?
Nein. Ich könnte mir wehtun.
Gott weiß, wo Ben sich herumtreibt. Seit wir hier sind, ist er unerträglich blasiert, bläht sich auf und erzählt Juri Zhernakoff wahrscheinlich schon zum fünfzehnten Mal, dass er auch gern eine Jacht hätte.
Meine Hand gleitet in die Tasche. Ein Gedanke will mir nicht aus dem Kopf gehen, wie ein besonders langmütiger Mensch, der einfach nicht aufgibt. Immer derselbe Gedanke. Schon seit Stunden ist er da. Ich könnte Richard anrufen. Ich könnte Richard anrufen . Unablässig habe ich den Gedanken ignoriert, aber jetzt kann ich mich nicht mehr erinnern, wieso es eigentlich keine gute Idee sein sollte. Im Grunde finde ich sie ganz spannend. Eine hübsche Idee. Ich könnte ihn einfach anrufen. Jetzt gleich.
Ich weiß, dass Fliss sagen würde, ich sollte es lassen, aber schließlich ist es ja nicht ihr Leben, oder?
Ich weiß nicht genau, was ich ihm sagen will. Am liebsten würde ich gar nichts sagen. Ich möchte nur eine Verbindung herstellen. Als würde man jemanden bei der Hand nehmen und sie drücken. Das ist es: Ich möchte seine Hand über den Äther drücken. Und wenn er sie zurückzieht, na, dann weiß ich eben Bescheid.
Ich sehe, dass die beiden Russinnen an Deck kommen, und verziehe mich schnell in eine Ecke, damit sie mich nicht sehen. Ich nehme mein Handy hervor, starre es einen Moment lang an, dann stößt mein Zeigefinger auf die Tastatur herab. Als das Freizeichen kommt, fängt mein Herz an zu rasen, und mir wird übel.
»Hallo, hier ist Richard Finch.«
Die Mailbox ist angesprungen. Mein Magen verknotet sich in Panik, und ich drücke auf Beenden. Ich kann doch keine Nachricht auf seiner Mailbox hinterlassen. Eine Nachricht auf der Mailbox ist keine gedrückte Hand. Es ist ein Umschlag, den man in eine Hand legt. Und ich weiß nicht, was ich in den Umschlag stecken soll. Jedenfalls nicht genau.
Ich versuche, mir vorzustellen, was er im Moment wohl gerade tut. Ich weiß überhaupt nicht, wie er in San Francisco lebt. Irgendwann wird er wohl aufstehen. Duschen vielleicht? Ich weiß nicht mal, wie seine Wohnung aussieht. Er ist mir fremd geworden. Plötzlich kommen mir die Tränen, und trübe betrachte ich mein Telefon. Soll ich es noch mal versuchen? Wäre das schon Stalking?
»Lottie! Da bist du ja!« Es ist Ben, zusammen mit Juri. Ich stopfe mein Handy wieder in die Tasche und wende mich um. Ben ist ganz rot im Gesicht vom Alkohol, und mich verlässt der Mut. Er wirkt manisch, wie ein kleines Kind, das zu lange wach war. »Wir wollen den Deal mit einem Glas Champagner besiegeln«, sagt er begeistert. »Juri hat einen alten Krug Grande Cuvée . Möchtest du auch?«
29
Arthur
Diese jungen Leute! Immer in Eile, immer in Sorge, immer wollen sie Antworten – und zwar sofort . Die rauben mir den letzten Nerv, diese armen, gebeutelten Dinger.
Kommt nicht wieder hierher, sage ich ihnen immer. Kommt nicht wieder her .
Eure Jugend ist da, wo ihr sie zurückgelassen habt, und dort sollte sie auch bleiben. Alles, was es wert war, mit auf die Reise des Lebens genommen zu werden, dürftet ihr damals mitgenommen haben.
Seit zwanzig Jahren sage ich das, aber hört mir einer zu? Schön wär’s. Da kommt schon wieder einer. Keucht und schnauft, als er endlich oben auf der Klippe steht. Ende dreißig, schätze ich. Ganz attraktiv, so vor dem blauen Himmel. Sieht ein bisschen aus wie ein Politiker. Oder vielleicht eher wie ein Schauspieler.
Ich kenne ihn nicht von früher. Nicht dass es was zu bedeuten hätte. Heutzutage erkenne ich mich beim Blick in den Spiegel selbst kaum wieder. Der Typ sieht sich um und betrachtet mich, wie ich da auf meinem Stuhl unter meinem Lieblingsolivenbaum sitze.
»Sie sind Arthur?«, fragt er unvermittelt.
»Schuldig.«
Ich mustere ihn eingehender. Wirkt wohlhabend. Trägt eins von diesen Polohemden mit teurem Logo. Ist wahrscheinlich für ein paar doppelte Scotch zu haben.
»Bestimmt möchtest du einen Drink«, sage ich freundlich. Immer gut, das Gespräch frühzeitig auf die Bar zu lenken.
»Ich will keinen Drink«, sagt er.
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