Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
es gewesen, nicht diese Liebesbriefe an eine andere Frau in seinem Aktenkoffer finden zu müssen, wo jeder sie bei der Suche nach Kaugummis finden konnte.
Liebesbriefe. Ich meine: Liebesbriefe! Ich kann immer noch nicht fassen, dass er einer anderen Frau Liebesbriefe geschrieben hat, seiner eigenen aber nie. Ich kann nicht fassen, dass er Sexgedichte verfasst hat, illustriert mit Zeichnungen. Ich war ehrlich schockiert. Hätte er diese Gedichte für mich geschrieben, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Vielleicht hätte ich noch rechtzeitig vor der Hochzeit gemerkt, was für ein selbstverliebter Sack er ist.
»Tja.« Er zuckt mit den Schultern. »Vielleicht habe ich mehr Abstand zu der Sache. Vielleicht bist du zu nah dran.«
Zu nah dran? Wie kann ich zu nah an meiner eigenen Scheidung sein? Wer ist dieser fratzengesichtige, emotional verkümmerte Schwachkopf, und wie kommt er überhaupt in mein Leben? Vor lauter Ärger keuche ich so schnell, dass ich glatt Usain Bolt Konkurrenz machen könnte.
Und dann passiert es. Es ist nicht unbedingt Absicht , dass es passiert. Mein Handgelenk zuckt, und schon ist es geschehen. Urplötzlich ist da eine Spur von sechs kleinen Tintenflecken auf seinem Hemd, und ich spüre eine Woge des Glücks in meiner Brust.
»Was war das ?« Daniel betrachtet sein Hemd, dann blickt er auf, wie versteinert. »Ist das Tinte? Hast du mich gerade mit deinem Füller bespritzt ?«
Ich werfe einen Blick auf Noah, um nachzusehen, ob er mitbekommen hat, wie sich seine Mutter in den Niederungen des infantilen Verhaltens verirrt. Doch er hat sich in der weitaus erwachseneren Welt von Captain Underpants verloren.
»Es war keine Absicht«, sage ich unschuldig.
»Es war keine Absicht? Bist du fünf Jahre alt oder was?« Er verkneift das Gesicht zu einer finsteren Miene und tupft an seinem Hemd herum, wobei er die Tinte nur verschmiert. »Das könnte ich meinem Anwalt übergeben.«
»Bei der Gelegenheit könntest du dich mit ihm auch gleich über elterliche Verantwortung unterhalten, dein Lieblingsthema.«
»Witzig.«
»Nein.« Plötzlich bin ich ganz ruhig. Ich habe genug davon, Wie-du-mir-so-ich-dir zu spielen. »Ist es wirklich nicht.« Ich sehe mir meinen Sohn an, der in sein Buch vertieft ist und sich über irgendwas amüsiert. Seine Shorts sind hochgerutscht, und auf das eine Knie hat er mit Kugelschreiber ein Gesicht gemalt, auf das ein Pfeil zeigt. Darüber steht in krakeliger Schrift ICH BIN EIN SUPERHELD . Wie kann Daniel ihn einfach so abservieren? Er hat ihn seit zwei Wochen nicht gesehen. Er ruft nie an, um mal mit ihm zu plaudern. Es ist, als wäre Noah ein Hobby, für das er sich die Ausrüstung zugelegt und die Grundfertigkeiten angeeignet hat, um dann zu merken, dass es doch gar nicht so toll ist und er vielleicht lieber mit dem Klettern anfangen sollte.
»Ist es wirklich nicht«, wiederhole ich. »Ich denke, du solltest jetzt besser gehen.«
Ich blicke nicht mal auf, als er rausgeht. Ich ziehe seinen elenden Papierstapel zu mir hin, blättere darin herum, zu aufgebracht, um auch nur ein Wort lesen zu können, dann öffne ich ein Dokument auf meinem Computer und schreibe wütend:
D kommt ins Büro, lässt N ohne Vorwarnung bei mir, entgegen unserer Abmachung. Unkooperativ. Möchte weitere Forderungen hinsichtlich der Trennungsvereinbarung ansprechen. Weigert sich, Vernunft anzunehmen.
Ich löse meinen Memory-Stick von der Kette um meinen Hals und speichere die bearbeitete Datei darauf. Mein Memorystick ist so was wie mein Schnuffeltuch. Hier ist alles drauf. Die ganze traurige Geschichte mit Daniel. Ich hänge mir den Stick wieder um den Hals, dann drücke ich die Kurzwahl für Barnaby, meinen Anwalt.
»Barnaby, du wirst es nicht glauben«, sage ich, sobald seine Mailbox angeht. »Daniel will den Vertrag noch mal durchgehen. Kannst du mich zurückrufen?«
Dann werfe ich einen zögernden Blick zu Noah hinüber, um nachzusehen, ob er mich gehört hat. Aber er kichert über irgendwas in seinem Buch. Ich muss ihn meiner persönlichen Assistentin übergeben. Sie hat mir in solchen Notfällen schon oft ausgeholfen.
»Komm mit!« Ich stehe auf und verwuschle seine Haare. »Gucken wir mal, ob wir Elise finden.«
Gästen aus dem Weg zu gehen ist eigentlich ganz einfach, wenn man die Gastgeberin ist. Man hat immer Ausreden genug, sich aus einem Gespräch herauszuziehen, sobald man sieht, dass ein fetter Wanst im pink gestreiften Hemd auf einen zusteuert. ( »Entschuldigen
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