Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
halbe Nacht oder einen kleinen Teil der Nacht ist.«
Das werde ich nicht sagen.
Eine Kellnerin kommt mit neuen Drinks. Sie stellt sie ab, dann sieht sie meinen Blumenstrauß und Lorcans Knopfloch. »Oh! Wollen Sie beide heiraten?«
Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. Ausgerechnet.
»Nein. Nein. Ganz und gar nicht.«
»Bestimmt nicht«, versichert Lorcan.
»Denn wir hätten da ein spezielles Champagner-Angebot für Hochzeitsfeiern«, erklärt sie. »Hier kommen so viele her, weil das Standesamt gleich um die Ecke ist. Gesellen sich Braut und Bräutigam noch zu Ihnen?«
»Eigentlich sind wir gegen Hochzeiten«, sage ich. »Unser Motto ist: Ehefrust, nein Danke.«
»Darauf trinken wir.« Mit glänzenden Augen erhebt Lorcan sein Glas.
Die Kellnerin blickt von Lorcan zu mir, lacht unsicher und zieht sich zurück. Ich schütte etwa mein halbes Glas in mich hinein. In meinem Kopf dreht es sich, und eine weitere Woge des Verlangens reißt mich mit. Ich stelle mir vor, wie seine Lippen meine berühren, wie seine Hände mir das Kleid vom Leib reißen …
Oh Gott, mach dich nicht lächerlich, Fliss. Wahrscheinlich denkt er gerade an den Bus, den er noch erwischen muss.
Wieder wende ich mich ab und rühre in meinem Drink herum, um Zeit zu schinden. Ich kann die Unsicherheit in dieser Phase des Kennenlernens kaum ertragen, weil man keine Ahnung hat, wie es ausgeht. Man erklimmt ganz langsam die Achterbahn eines Rendezvous. Man weiß, wie weit man oben ist, aber man weiß nicht, wie weit der andere ist oder ob er überhaupt mitfährt. Vielleicht steuert er mental in die andere Richtung. Hier sitze ich, mitten im Sextraum Nr. 53, und es wäre ohne Weiteres möglich, dass er sich lieber höflich zurückziehen möchte.
»Würden Sie gern noch irgendwo anders hin?«, fragt Lorcan plötzlich, und vor lauter Vorfreude wird mir ganz flau im Magen. Irgendwo anders hin . Wohin?
»Das wäre schön, ja.« Ich zwinge mich, kühl und beherrscht zu klingen. »Wohin denn?«
Er legt die Stirn in tiefe Falten, attackiert seine Eiswürfel mit dem Rührstab, als wüsste er nicht, wo er anfangen soll, diese profunde und komplexe Frage zu beantworten.
»Wir könnten essen gehen«, sagt er schließlich ohne große Begeisterung. »Sushi vielleicht. Oder …«
»Wir könnten aber auch nicht essen gehen.«
Er blickt auf, endlich nicht mehr auf der Hut, und mir läuft ein köstlicher Schauer über den Rücken. Er ist mein Spiegelbild. Er hat denselben hungrigen Ausdruck in den Augen. Verzweifelte Sehnsucht. Er möchte etwas verschlingen, und ich glaube kaum, dass es Sushi ist.
»Abgemacht«, sagt er und wirft noch einen Blick auf meine Beine. Offenbar steht er auf Beine.
»Und … wo wohnen Sie?«, frage ich beschwingt, als gäbe es da keinen Zusammenhang.
»Nicht weit von hier.«
Er sieht mir tief in die Augen. Okay, wir sind ganz oben angekommen. Gemeinsam. Ich sehe die Bahn, die vor uns liegt. Ein kleines Lächeln kann ich mir nicht verkneifen. Ich denke, wir werden viel Spaß miteinander haben.
7
Fliss
Ich bin halb wach. Glaube ich. Oh Gott. Mein Kopf tut weh.
So viele Gedanken. Wo fange ich an? Nebelhafte Gefühle drängen sich in meinem Hirn. Erstaunliche Bilder blitzen auf. Er. Ich. Drunter. Drüber. Plötzlich merke ich, dass ich wie Noahs altes Bilderbuch klinge: Gegensätze machen Spaß! Drinnen. Draußen. Vorwärts. Rückwärts.
Aber jetzt ist der Spaß vorbei. Falls das grelle Licht ein Hinweis ist, muss wohl Morgen sein. Ich liege da, mit einem Bein auf der Decke, und traue mich nicht so ganz, die Augen aufzuschlagen. Du. Ich. Gestern. Heute. Oh Gott, heute .
Vorsichtig mache ich ein Auge auf und sehe eine beigefarbene Bettdecke. Oh, ja. An diese Decke erinnere ich mich noch von gestern. Offensichtlich hat seine Exfrau die ganze gute Bettwäsche mitgenommen, und er war im nächstgelegenen Laken-Laden für Geschiedene Männer einkaufen. Es pocht in meinem Kopf, und bald darauf fängt das Beige vor meinen Augen an zu flimmern. Also schließe ich sie wieder und rolle auf den Rücken. Ich hatte schon lange keinen One-Night-Stand mehr. Schon sehr lange. Ich hatte völlig vergessen, wie das ist. Unbeholfener Abschiedskuss? Telefonnummern tauschen? Tasse Kaffee?
Kaffee. Einen Kaffee könnte ich brauchen.
»Guten Morgen!« Seine knurrige Stimme holt mich in die Wirklichkeit zurück. Er ist hier. Im Zimmer.
»Oh. Äh.« Ich stütze mich auf einen Ellenbogen, schinde Zeit, reibe mir den Schlaf aus den Augen.
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