Das höllische Ich
hatte ein weiß lackierter viereckiger Holztisch seinen Platz gefunden.
Auf ihm lagen Zeitschriften. Es waren zwei Reisemagazine. Dort wurden besondere Trips angeboten, die zu fernen Zielen führten, wo Menschen sich der Suche nach dem Sinn des Lebens hingeben konnten.
Doch der Mörder hatte bereits den Sinn seines Lebens gefunden. Darauf wiesen die Bilder an den Wänden hin, die ich langsam abschritt und dabei kaum merkte, auf was ich trat, weil der gelbe Teppich mit den weißen Kreisen alles schluckte.
Obwohl es so gut wie kein abstraktes Bild gab, waren alle sehr freundlich gehalten. Helle Farben. Optimismus strömte mir aus diesen Motiven entgegen.
Und immer wieder standen Engel oder Heilige im Mittelpunkt. Um sie drehte sich alles. Manche Motive sahen sehr kitschig aus. Da saßen an einem Bachufer Kinder und deuteten über das Wasser hinweg. Eines aus ihren Reihen hatte sich zu weit in das Wasser hineingewagt, war gefallen und wurde nun von der schnellen Strömung weggetragen.
Das Kind brauchte keine Angst zu haben, denn über ihm schwebte eine helle Wolke, aus der sich zwei goldene Arme nach unten reckten, um dem Kind aus der Strömung zu helfen.
Andere Bilder zeigten die Engel direkt, ohne dass sie sich in einer weltlichen Umgebung befanden. Da hatten sie einen Kreis gebildet, beteten, hatten die Köpfe erhoben und schauten in ein sehr helles Licht, das von einem goldenen Strahlenkranz umgeben war. Andere Engel wachten in Kinderzimmern oder vor einem Haus, in dem die Menschen schliefen.
Alle Motive zeigten sich positiv. Es gab einfach keine gemalten Höllenengel, die schwarz und düster den Menschen drohten, bevor sie diese in die Verdammnis rissen.
In einem Regal schaute ich gegen die Rücken mehrerer Bücher. Bei einem kurzen Stopp las ich die Titel. Die Inhalte beschäftigten sich mit der Existenz der Engel oder mit dem Leben der Heiligen. Wer hier gewohnt hatte, war ein sehr frommer Mensch gewesen, aber kein verdammter Doppelmörder.
Und doch hatte Lou Ganzaro zwei Menschen umgebracht. Zwei Mal durch jeweils eine Kugel in den Kopf.
Das war noch für mich ein Rätsel. Da musste ihn wirklich das höllische zweite Ich überkommen haben, das wir in seinen Auswirkungen ebenfalls erlebt hatten.
Nur stellte sich das Problem, woher dieses höllische Ich gekommen war. Oder wer es geschickt hatte?
Die Antwort darauf war nicht leicht. Ich hatte keine Hinweise gefunden, die mich hätten weiterbringen können. Auf die allgemeine Hölle zu setzen war zu einfach.
Ich schaute mir nicht alle Bilder an. Es waren wirklich sehr, sehr viele. Sie hingen neben- und übereinander. Sie besaßen verschiedene Größen, sie flimmerten manchmal vor meinen Augen, weil die Motive mit Goldstaub gepudert wirkten.
Es gab noch einen Schreibtisch zu bewundern. Natürlich war auch er aus weiß lackiertem Holz gefertigt. Er sah sehr aufgeräumt auf. Ein Computer oder ein Laptop stand nicht auf ihm, allerdings ein helles Telefon. Es stand auf einem flachen Untersatz, in dem schmale Fenster sichtbar waren. Man hatte sie mit den wichtigsten Telefonnummern beschriftet. Im Moment interessierten sie mich nicht. Die Verbindung zur Welt der Engel war bestimmt nicht durch eine Reihe von Zahlen markiert worden.
Was ich vermisste, war ein Fernseher. Allerdings stand auf einem Acrylhocker eine HiFi-Anlage. CDs lagen in Griffweite daneben. Einige Titel konnte ich entziffern. Es handelte sich um Sphärenmusik, die wohl nur an entsprechende Fans verkauft wurde.
Hinter mir hörte ich ein Räuspern. Nachdem ich mich umgedreht hatte, schaute ich gegen Suko, der die Schultern anhob und mir bekannt gab, dass er nichts gefunden hatte.
»Ich auch nicht«, erklärte ich und deutete gegen die Wände. »Abgesehen von den Bildern.«
Suko winkte ab. »Da kannst du die dazuzählen, die auch noch im Schlafzimmer hängen. Und im Bad.«
»Wie das?«
»Der Spiegel wird von zwei Engeln gehalten.« Suko grinste. »Irgendwie komisch und kitschig.«
Ich wollte mich dazu nicht äußern. Für manche Menschen war der Kitsch Volkskunst, für andere wieder nicht. Das waren rein subjektive Angaben. Ich wollte mir auch weiterhin keine Gedanken darüber machen und hatte keine Lust darauf, mich länger in der Wohnung aufzuhalten. Hier würde kein Mieter mehr zurückkehren. Wir mussten uns an das halten, was er als Erbe hinterlassen hatte.
Es wurde kühler.
Zuerst merkte ich es, weil ein Hauch wie mit dem Pinsel gestrichen über mein Gesicht streifte.
Auch Suko
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