Das höllische Ich
trotz der nur zwei Fenster hell in diesem Versammlungsraum war. Wenn ich gegen die Decke schaute, fehlte dort ein Stück. Das heißt, so genau stimmte das auch nicht. Man hatte sie nur mit einem großen kreisrunden Glaseinsatz versehen, der sogar recht sauber war, denn vom Wind hingewehte Äste oder Zweige lagen dort nicht. Einige Blätter schon, aber die störten nicht weiter.
Ich wollte Suko darauf aufmerksam machen, als ich hinter mir ein schabendes Geräusch hörte.
Mein Freund hatte einen Schrank entdeckt. Er war in die Wand eingebaut worden. Wegen einer Schiebetür hatten wir ihn zuvor nicht sehen können. Sie stand jetzt weit offen, so konnten wir beide in den Schrank schauen, in dem auf einer mit Bügeln bestückten Stange zahlreiche Gewänder hingen. Sie alle besaßen nur die Farbe weiß. Ein schlichtes und helles Weiß, und die Schuhe, die im Schrank wohl geordnet auf dem Boden nebeneinander standen, besaßen diese Farbe ebenfalls. Es handelte sich um Schlappen, in die jeder hineinschlüpfen konnte.
»Und?«, fragte Suko.
Ich nickte. »Jetzt weiß ich zumindest, weshalb wir keine Schmutzspuren entdeckt haben. Die Menschen streifen andere Schuhe über.«
Suko schloss die Tür wieder, und ich wandte mich erneut der Umgebung zu. Dieses Gartenhaus, das zugleich als Versammlungsort diente, verdiente auch innen die Beschreibung schlicht. Im Inneren des Stuhlkreises befand sich nichts Besonderes. Man nahm einfach nur Platz und schaute sich gegenseitig an. War das alles?
Nein, und ich brauchte auch nicht großartig zu raten, denn wer in diesem Kreis saß und den Kopf zurücklegte, der schaute in die Höhe, blickte gegen den zweiten Kreis aus Glas und besaß so den fast freien Blick in den Himmel.
Das war es wohl, worum es den Leuten ging, die sich hier versammelten. Sie wollten in andere Sphären schauen und möglicherweise mit Engeln Kontakt aufnehmen. Gar nicht mal so verkehrt...
Ich hatte vorgehabt, mich hinzusetzen, doch ich verschob es, denn Suko war dabei, die Wände abzugehen. Das tat er nicht ohne Grund. Der Constable hatte uns von den Engelbildern berichtet, die hier an den Wänden hingen.
Und er hatte sich nicht getäuscht. Sie hingen in regelmäßigen Abständen voneinander entfernt. Jedes Bild besaß die gleichen Ausmaße. Schmal, aber recht lang, sodass Platz genug für eine stehende Gestalt war. Für Engel, denn nichts anderes stellten die Gemälde dar.
Ich ging sie ebenfalls ab. Möglicherweise fand ich einen Hinweis auf die andere Seite, aber diese Bilder waren einfach zu schön. Sehr naturalistisch, sehr schön und in gedeckten Farben, wobei sich das mehr auf die Gewänder der Engel bezog. Ihre Haut war zumeist hell oder zeigte einen leichten Puderton.
Ich sah mir auch die Gesichter genauer an. Sie alle zeigten einen etwas entrückten Ausdruck, der sich auch in den Augen widerspiegelte. Es schien mir so zu sein, als hätte der Maler sie in einer bestimmten nachdenklichen Pose dargestellt, in der sich die Engel einem Höheren zugewandt hatten.
Beige, lindgrün, ein sanftes Rot oder ein helles Lila und Blau, so schimmerten die Gewänder. Und noch etwas war gleich. Wir erkannten bei keinen Einzigen, ob es sich nun um eine männliche oder eine weibliche Gestalt handelte. Im Prinzip sahen sie alle gleich aus.
Suko und ich trafen uns wieder bei den Stühlen. Wie abgesprochen legten wir unsere Hände auf die Oberseiten der Lehnen und schauten uns gegenseitig an.
»Dein Eindruck, John?«
»Keine Kirche«, urteilte ich. »Es gibt auch keinen Altar. Eher ein Versammlungsraum für Engelfreunde.«
»Die sich dann hinsetzen, um auf ihre Mentoren zu warten. Oder Kontakt mit den Schutzengeln aufnehmen wollen, wie immer sie das auch schaffen mögen.«
»Wen kannst du fragen?«
»Bruder Rüben«, schlug er vor.
»Schön, dann ruf ihn mal.«
Es war natürlich klar, dass wir hier auf recht verlorenem Posten standen. Durch das Betrachten der Bilder kamen wir nicht weiter. Wir konnten uns eigentlich nur auf die Stühle setzen und darauf warten, dass die Mitglieder der Union irgendwann eintrafen. Vorausgesetzt, das passierte auch an diesem Montag.
Ich schaute auf meine Uhr. Wir waren bereits einige Zeit unterwegs, doch bis zum Abend dauerte es noch etwas. Und bis die Dunkelheit kommen würde, musste ich noch gut zwei Stunden hinzurechnen.
Engel hinterlassen ihre Spuren. Davon sind nicht wenige Menschen überzeugt. Auch wenn sie sich nicht als sichtbare Wesen zeigten, so waren die doch zu spüren.
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