Das Hohelied des Todes
verging. Der Blick in Lilahs Augen sagte alles.
Verdammt, verdammt!
Das Mädchen sackte in Deckers offene Arme. Er hielt sie fest, während sie sich ausweinte. Nachdem sie sich einigermaßen wieder gefangen hatte, machte Decker sich los und sagte: »Weißt du, wie man ihre Eltern erreichen kann?«
»Sie kann ihre Eltern nicht ausstehen.«
»Aber wir müssen doch ihre Leiche überführen, Lilah.«
Das Mädchen wischte sich die Tränen und den verlaufenen Lidschatten aus dem Gesicht. »Sie kommt aus Indianapolis. Ihr richtiger Name ist Patsy Lee Norford. Ich glaube, ihr Vater heißt Mick oder Mike.«
»Ich finde ihn«, sagte Decker.
»Sie sind ein netter Kerl«, sagte Lilah. Sie holte ihr Kosmetiktäschchen heraus und fing an, sich das verweinte Gesicht neu zu schminken. »Das hat Kiki auch gesagt. Dabei dachte ich eigentlich, die netten Kerle wären längst ausgestorben.«
»Wenn Kiki so viel von mir gehalten hat, wieso hat sie dann nicht auf mich gehört? Sie sollte doch nur eine einzige Woche auf sich aufpassen.«
Lilah lachte böse – eine Mischung aus Hohn und Verbitterung.
»Sie war eben blöd«, sagte sie. Ihr kamen erneut die Tränen. »Und Sie sind genauso blöd wie sie. Haben Sie es denn immer noch nicht kapiert?« Decker wartete auf eine Erklärung. »Herrschaftszeiten, sie war in Sie verliebt! Sie wollte nicht ins Heim, weil sie wußte, daß sie Sie dann nie mehr wiedergesehen hätte. Schließlich haben Sie ihr am Telefon doch selber gesagt, daß Sie sie nicht besuchen würden. Sie hat gedacht, auf der Straße könnte sie sich wenigstens als Spitzel nützlich machen und so in Ihrer Nähe bleiben.«
Sie knipste das Täschchen zu und steckte es weg. »Ihr Männer seid wirklich die letzten Vollidioten. Alle, wie ihr da seid, ganz egal ob Freier, Bulle oder Familienvater mit fünf Blagen am Bein. Ihr habt alle nur Scheiße im Hirn.« Sie spuckte ihn an und ging.
19
Als er sich müde aufs Revier schleppte, wurde er schon von Marge erwartet. Sie strahlte.
»Kopf hoch, Rabbi«, sagte sie. »Gerade sind die Durchsuchungsbefehle für Cecil Pode durchgekommen.«
»Ein bißchen spät«, sagte er und schluckte ein paar Aspirin. »Du siehst furchtbar aus, Pete.«
»Längst nicht so furchtbar, wie ich mich fühle. Hör zu, wir treffen uns in einer Stunde vor Podes Haus.«
»He, hast du heute nicht deinen freien Tag?« fragte sie. Decker lachte bloß.
Beklommen betrat Cindy das Vorzimmer des Schuldirektors. Die Sekretärin schickte sie gleich ins Rektorenbüro durch. Ängstlich öffnete das Mädchen die Tür. »Hi, Cindy«, sagte Decker.
»Wo kommst du denn her, Daddy? Und wo ist Mr. Richardson?«
»Nicht im Haus. Seine Sekretärin war so nett, mir sein Büro zur Verfügung zu stellen. Ich brauchte bloß ein bißchen mit meiner Hundemarke zu wedeln.«
»Was ist passiert?«
»Nichts. Ich wollte dir nur guten Tag sagen. In letzter Zeit habe ich dich kaum zu Gesicht bekommen.«
Das Mädchen war verwirrt.
»Warum hast du mich aus der Klasse holen lassen?«
»Weil ich zufällig hier in der Gegend war«, sagte er kläglich.
Cindy setzte sich neben ihren Vater.
»Du siehst schrecklich aus. Was ist passiert?«
»Mir geht es gut, Süßes.« Er küßte seine Tochter auf die Stirn, dann nahm er sie fest in den Arm. »Ich hab’ dich lieb, Baby. Paß gut auf dich auf, ja? Papa zuliebe.«
Sie drückte ihn.
»Willst du darüber reden?« fragte sie.
Er legte ihr die Hand an die Wange.
»Cynthia, eigentlich sollten Eltern ihre Kinder trösten.«
»Aber wir sind doch beide erwachsene Menschen, Daddy.«
Er lachte.
»Von wegen. Du wirst immer mein kleines Mädchen bleiben, ob du willst oder nicht. Wenn du siebzig bist und ich dreiundneunzig, bist du immer noch meine Prinzessin. Ich hätte dich nicht aus dem Unterricht holen sollen. In letzter Zeit mache ich andauernd so impulsive Sachen … Aber diesmal hat es sich wenigstens gelohnt.«
»Ich hab’ dich lieb, Daddy.«
»Ich hab’ dich auch lieb, Cynthia. Geh jetzt.«
»Bist du sicher …«
»Mir fehlt nichts, Schatz. Geh wieder in deine Klasse.«
Er sah ihr nach. Du lieber Gott, dachte er. Es war schon schwer, ein Kind loszulassen.
»Für einen Fotografen hat er nicht gerade viel Privataufnahmen«, sagte Marge zu Decker, während sie Podes Schlafzimmer durchsuchten. »Keine Babybilder von Dustin, keine von seiner Schulabschlußfeier und nirgendwo eine Aufnahme von seiner Frau. Man sollte doch meinen, daß ein Witwer wenigstens ein Bild
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