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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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schüttelten Bäume, wirbelten mit den Füßen das dürre Laub auf, einige von ihnen summten eine kleine Melodie, und alle trugen (wie mir plötzlich auffiel) diese Baseballmützen mit dem Schirm nach hinten, und alle waren mit entblößtem Oberkörper losgezogen; zwei von ihnen trugen Gesichtsmasken, wie die Fänger im Baseball. Das Geräusch, das sie beim Vordringen durch den Wald machten, war wie das Schwirren einer großen Mähmaschine bei der Arbeit. Taschenlampen blinkten, und wie ein Schwarm großer Leuchtkäfer gelangten wir zu den Farnen, wo Lenny Metz - der seine Hosen noch nicht wieder angezogen hatte - den Kopf meiner Schwester zwischen seine Knie eingeklemmt festhielt. Metz kniete auf Frannys Armen und war über ihren Kopf gebeugt, während Chester Pulaski - der zweifellos als dritter zum Zug gekommen war - gerade fertig wurde.
    Chipper Dove war schon fort; er war natürlich als erster drangewesen. Und als vorsichtiger Spielmacher hatte er den Ball nicht zu lange behalten.
    »Natürlich wußte ich, was er tun würde«, erzählte mir Franny, viel später. »Ich war auf ihn vorbereitet, ich hatte es mir sogar vorgestellt - mit ihm. Irgendwie wußte ich immer schon, daß er es sein würde - das erste Mal. Aber ich hätte nie geglaubt, daß er die anderen auch nur zusehen lassen würde. Ich sagte ihm sogar, daß sie mich nicht zu zwingen brauchten, ihn würde ich machen lassen. Aber als er mich den anderen überließ - also darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet. Das hatte ich mir nicht einmal vorgestellt.«
    Nach ihrem Empfinden hatte meine Schwester unangemessen teuer bezahlt für ihren Streich mit den Lichtern des Hotels New Hampshire und ihren unbeabsichtigten Beitrag zu Howard Tucks Abgang aus dieser Welt. »Mein lieber Mann, so einen kleinen Spaß mußt du echt teuer bezahlen«, sagte sie.
    Nach meinem Empfinden hatten Lenny Metz und Chester Pulaski kaum teuer genug bezahlt für den »Spaß«, den sie gehabt hatten. Metz gab die Arme meiner Schwester sofort frei, als er Junior Jones erblickte; er zog seine Hosen hoch und versuchte abzuhauen - aber er war es als Ballträger gewohnt, gut abgeschirmt zu werden und relativ freie Bahn zu haben. In dem dunklen Wald konnte er die dunklen Leiber der summenden schwarzen Sportler kaum sehen, und obwohl er kraftvoll sprintete, prallte er gegen einen Baum, der etwa den Umfang seines Oberschenkels hatte und ihm das Schlüsselbein brach. Er war daraufhin ziemlich rasch umzingelt und wurde zu der heiligen Stätte in den Farnen zurückgeschleppt, wo sie ihm auf Junior Jones' Anordnung sämtliche Kleider auszogen; dann wurde er an einen Lacrosseschläger gebunden und nackt zum Studienleiter getragen. Später erfuhr ich, daß die Löwenjäger ihre Beute immer mit einem gewissen Flair ablieferten.
    Einmal hatten sie einen Exhibitionisten erwischt, der die Mädchen in ihrem Wohnheim belästigt hatte. Sie hängten ihn im meistbesuchten Badezimmer der Mädchen mit dem Kopf nach unten an eine Dusche - nackt in einen durchsichtigen Duschvorhang gewickelt. Dann riefen sie den Studienleiter an. »Hier spricht der Schwarze Arm des Gesetzes«, sagte Junior Jones. »Hier spricht der Sheriff vom verfickten fünften Stock.«
    »Nun, Junior, was gibt's?« fragte der Studienleiter.
    »Im Mädchenwohnheim ist ein nackter Mann; Sie finden ihn im Bad im ersten Stock, rechts«, sagte Jones. »Die Löwenjäger haben ihn dabei ertappt, wie er sich entblößte.«
    So wurde also Lenny Metz zum Studienleiter für die Jungen geschleppt, Chester Pulaski kam vor ihm dort an. »Löwenjagd!« hatte Harold Swallow durch den Wald gebrüllt, und als Lenny Frannys Arme losließ, glitt Chester Pulaski aus meiner Schwester und versuchte ebenfalls abzuhauen. Da er sich aber völlig ausgezogen hatte, trabte er auf seinen empfindlichen nackten Fußsohlen nur langsam zwischen den Bäumen durch, ohne sie zu rammen. Alle zwanzig Meter oder so wurde er zu Tode erschreckt vom Schwarzen Arm des Gesetzes, den schwarzen Sportlern, die durch den Wald pirschten und dabei Zweige schwirren ließen, Äste knackten und ihre Melodie summten. Es war Chester Pulaskis erster Bandenstich gewesen, und das Dschungelritual hatte die ganze Nacht für ihn geprägt - er dachte, der Wald sei plötzlich voll von Eingeborenen! (Kannibalen! stellte er sich vor) - und so stolperte er winselnd und vornübergebeugt durch den Wald, etwa so, wie ich mir die Menschen der Frühzeit vorstellte, nicht ganz aufgerichtet, meistens auf allen

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