Das Hotel
Bewegungsablauf.
Misstrauisch näherte sie sich der Drehtür, wartete auf den richtigen Moment und tat dann ein paar kleine, eher unbeholfene Schritte, um sich schließlich an der Tür festzuhalten. Als sie es geschafft hatte, seufzte sie vor Erleichterung auf. Es gab nichts Schlimmeres, als mitten in einer Drehtür hinzufallen.
Ihre Corvette stand auf dem Kurzzeitparkplatz. Deb zog den Schlüssel hervor und drückte auf den Knopf, um sie aufzuschließen. Dann setzte sie sich auf den Fahrersitz, rückte ihre Bauchtasche zurecht, sodass sie nicht drückte, und holte das Navigationsgerät aus dem Handschuhfach.
Der gruselige Manager hatte recht gehabt. Das Gerät fand weder den Namen der Pension noch die Straße, an der sie lag. Also gab sie die Koordinationsdaten ein und befestigte es in der Halterung am Armaturenbrett, während sie gegen das Bedürfnis ankämpfte, sich herzurichten.
Ihre Entschlossenheit dauerte lediglich zehn Sekunden. Dann klappte sie den in der Sonnenblende versenkten Kosmetikspiegel herunter und musterte sich.
Kein Schlaf in den Augen. Ihre braunen Haare mit den roten und blonden Strähnen waren von der offenen Fahrt noch etwas durcheinander, sahen aber recht natürlich aus – genau so, wie sie das von einem Dreihundert-Dollar-Schnitt erwartete. Das Rouge und der pinke Lidschatten, die sie zu Hause in Washington für den Fall aufgetragen hatte, dass das Interview direkt nach ihrer Ankunft stattfinden würde, sahen noch gut aus. Deb vollendete das Gesamtkunstwerk mit etwas Lipgloss – Wet Red – und war dann zufrieden.
Sie wusste, dass sie hübsch war, wünschte sich aber stets, auch vollkommen zu wirken.
Sie wurde unruhig. Wo blieb Mal? Er schien gegen Ende Zwanzig, vielleicht Anfang Dreißig zu sein. Nur ein paar Jahre älter als sie. Deb hatte keinen Ehering an seinem Finger gesehen, aber was hieß das schon? In ihrem Alter waren alle gut aussehenden Männer entweder bereits vergeben oder schwul.
Aber das machte so oder so nichts. Der einzige Mann, mit dem Deb sich seit ihrem Unfall eingelassen hatte, war Scott gewesen. Und das hatte sich als ein solches Desaster herausgestellt, dass Deb kein Interesse hatte, eine derartige Erfahrung zu wiederholen.
Eine weitere Minute verging, und Deb nahm bereits an, dass Mal seine Meinung doch noch geändert hatte. Bei einem Blind Date letztes Jahr hatte sich der Mann im Restaurant plötzlich entschuldigt, war zur Toilette verschwunden und nie mehr gesehen, nachdem er sie heftig angeflirtet, eine Hand auf ihr Knie gelegt und die Prothese gefühlt hatte.
Das hier ist kein Date, sondern ein Interview. Außerdem weiß er, dass ich keine Beine habe.
Ob Mal oder Rudy wohl ihre Stumpen sehen wollten? Das würde sie auf keinen Fall zulassen. Die einzige Person, die sie je zu Gesicht bekam, war ihr Arzt. Und der nächste Mensch würde ihr Bestatter sein.
Jemand klopfte auf die Motorhaube und riss sie aus ihren Gedanken. Mal beugte sich zu ihr herab.
» Können Sie bitte den Kofferraum aufmachen?«
Deb drückte auf einen Knopf und erstarrte dann, als ihr klar wurde, was er dort vorfinden würde.
Egal. Beim Wettkampf wird er die Prothesen sowieso genau sehen.
Als er sich neben sie setzte, bereitete sie sich innerlich bereits auf einen dämlichen Spruch vor. Aber er sagte nur: » Vielen Dank, dass Sie mich mitnehmen. So können wir das Interview doch noch machen. Ich habe nur eine Bitte: Lassen Sie mich den Sprit zahlen.«
» Wenn Sie darauf bestehen. Aber ich warne Sie, der Wagen ist ein echter Säufer.«
» Das kann ich mir vorstellen. Ich fahre einen Prius, habe aber schon immer eine Corvette gewollt.«
» Ich auch.« Sie lächelte. » Schnallen Sie sich an.«
Deb startete den Motor, legte den ersten Gang ein, drückte auf die Tube und stieg von der Kupplung. Die Reifen quietschten, und Mal wurde in den Sitz gedrückt, als sie das Hotel hinter sich ließen und auf die Hauptstraße fuhren.
Plötzlich tauchte eine dunkle Gestalt vor ihnen auf. Sie lief über die Straße, und Deb trat mit voller Wucht auf die Bremse. Sie hielt gerade noch rechtzeitig an. Der Mann schlug mit den Beinen gegen die Motorhaube und humpelte dann geduckt davon. Er suchte Zuflucht in den Sträuchern am Straßenrand und verschwand im Wald.
» Um Gottes Willen!«, rief Mal.
Deb atmete langsam aus. Ihre Hände zitterten vor Schock und Adrenalin.
» Habe ich ihn umgefahren?«
» Keine Ahnung. Der war ja riesig.«
» Ich habe nur eine Mähne langer weißer Haare
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