Das Hotel
einfach in den Brunnen gesprungen!«
Die drei standen um den Rand des Lochs und starrten in die unter ihnen liegende Dunkelheit.
» Sue!«, rief Letti.
Aber Sue antwortete nicht. Auch konnten sie kein Planschen hören.
Nur Blasen.
Die Blasen, die aufstiegen, als Sue ausatmete, ihre Lungen leerte und in die Tiefe hinabsank.
Verdammt, was habe ich getan?
» Es ist nicht Ihre Schuld«, beruhigte Letti Mal. » Sie hätte es früher oder später sowieso herausgefunden.«
Mal starrte noch immer in den Abgrund.
Auf einmal schien es keine schlechte Idee, ebenfalls zu springen.
» Wir brauchen Sie«, sagte Letti und nahm ihn am Arm. » Ich weiß, dass Sie einiges durchgemacht haben, doch um hier rauszukommen, müssen wir zusammenhalten.«
» Das schaffen wir nie«, murmelte Mal. » Wir kommen nie von hier fort.«
» Doch, das schaffen wir.«
Mal befreite sich von ihr. » Seit über vierzig Jahren töten sie Menschen, insgesamt über fünfhundert. Bis heute hat niemand überlebt, um dem Rest der Welt davon zu erzählen.«
» Dann werden wir die ersten sein.«
Mal starrte Letti in die Augen und sah Kraft und Entschlossenheit darin. Wie in Debs Augen.
Deb.
Ich muss Deb finden.
» Schätze, ich werde mit Hand anlegen«, murrte Mal. » Die Wahl fällt ja nicht schwer.«
Er ließ sich von Maria und Letti zur Tür führen. Der nächste Raum war ein weiteres Lager. Wieder Kartons über Kartons voll Contergan. Und drei weitere Türen.
» Kelly?«, fragte Letti und blickte sich um. » Kelly!«
Doch Kelly, der Hund und der Junge waren verschwunden.
Felix öffnete die Augen, und alles drehte sich. Er holte tief Luft und zuckte sofort zusammen. Jetzt konnte er noch diverse Rippenbrüche zu seiner Sammlung von Verletzungen zählen. Er blinzelte und versuchte, sich zu sammeln. Er lag auf dem Rücken. Im Wald. Das Licht, das ihn blendete, stammte von zwei Scheinwerfern. Das Auto stand etwa zehn Meter entfernt.
Dann erinnerte er sich – scheibchenweise …
… im Polizeiwagen wurde er hierhergebracht …
… der Berglöwe …
… vom Abschleppwagen angefahren …
Der Abschleppwagen.
Felix wusste, dass der Abschleppwagen ein Puzzleteil in diesem Albtraum war. Er musste so schnell wie möglich verschwinden, so viel Distanz wie nur möglich zwischen sich und das Auto bringen.
Er biss sich auf die Lippe, um nicht zu laut zu wimmern, und schaffte es, sich auf die Seite zu drehen. Es gab keinen Teil seines Körpers, der ihm keine Schmerzen verursachte.
Er hörte, wie ein Ast brach. Jemand kam durch das Gestrüpp auf ihn zu.
Ronald? Oder der Fahrer des Abschleppwagens, Ulysses?
Felix blickte sich um und sah, dass er neben einer Kuhle lag, die mit gefallenem Laub und Nadeln gefüllt war. Er rollte sich hinein und schloss die Augen vor Schmerz. Er versuchte sich auf den Bauch zu legen, aber die Schmerzen waren derart heftig, dass er nicht zu atmen vermochte. Dann nahm er einen Ast zwischen die Zähne, sodass er nicht aufschrie, und schaufelte mit seinen gebrochenen Händen Erde und Laub über sich, bis er völlig bedeckt war.
Die Geräusche kamen näher.
Schritte.
Falls Felix irgendwelche Zweifel gehabt hatte, dass es Ulysses war, der ihn suchte, so verschwanden diese, als der Unbekannte den Mund aufmachte: » Wehe, du spielst mit mir Verstecken, kleiner Mann. Wenn ich dich suchen muss, machst du alles nur noch schlimmer.«
Wenn Felix noch einen Funken Humor in sich gehabt hätte, wäre ihm die Ironie ziemlich lustig vorgekommen.
Als ob es noch schlimmer werden könnte.
Die Schritte kamen näher. Felix öffnete die Augen und schielte durch die Nadeln auf seinem Gesicht. Er wartete auf Ulysses.
Dann bemerkte er sein Handy.
Es war in seiner Hosentasche – gewesen. Er hatte es anscheinend verloren, als ihn der Abschleppwagen traf und er über den Waldboden gerollt war. Jetzt lag es neben ihm, und das winzige grüne Licht kam ihm in dieser Dunkelheit wie ein Leuchtfeuer vor.
Wenn Ulysses das Handy sieht …
Genau in diesem Augenblick erschien der Riese auf der Lichtung.
Er war groß, genauso groß wie John, und besaß breite Schultern und eine breite Brust. Sein Kopf hatte den Durchmesser eines Baumstamms. Felix sah lediglich seine Silhouette gegen das Mondlicht, erkannte allerdings, dass er etwas in der Hand hielt. Es war lang und an einem Ende gebogen.
Ein Brecheisen.
Felix streckte den Arm aus und legte die Handfläche auf das grüne Licht des Displays.
Auf einmal wurde ihm rot vor Augen. Ulysses hatte
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