Das Inferno
schlank und trug einen teuren Geschäftsanzug. Er war Ende dreißig, glatt rasiert und hatte dichtes, dunkles Haar und graue Augen, mit denen er seinen Gesprächspartnern offen ins Gesicht sah. Nachdem Tweed ihm Mark Wendover vorgestellt hatte, fragte er Kent, wer seiner Meinung nach als Finanzier der Krawalle in Frage komme.
»Ich könnte mir noch am ehesten vorstellen, dass es die Zürcher Kredit Bank ist«, sagte er, nachdem er sich gesetzt und die Beine übereinander geschlagen hatte.
»Wie bitte?«, fragte Tweed sichtlich erstaunt. »Das ist doch eine Schweizer Bank.«
»Das war sie einmal. Vielen Dank, Monica, das kann ich jetzt sehr gut gebrauchen«, sagte Kent, weil Monica ihm eine Tasse Kaffee gereicht hatte. »Ich habe mich lange mit dieser Bank beschäftigt und sie genauestens unter die Lupe genommen. Die Geschichte ist ziemlich merkwürdig.«
In den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts gründete Meyer Amschel Rothschild in der Frankfurter Judengasse ein Bankhaus, von dem er nicht wissen konnte, dass es einst eines der größten der Welt werden würde.
Die Judengasse lag damals im Ghetto, in dem die Juden leben und arbeiten mussten. Dort tauchte eines Tages ein gewisser Salomon Frankenheim auf, der zwar selbst kein Jude war, aber die jüdischen Rituale und die jüdische Lebensweise bis ins Detail studiert hatte. Frankenheim bat Rothschild um Arbeit, und Rothschild, der nach genauer Überprüfung erkannt hatte, dass der junge Mann ein mathematisches Genie war, stellte ihn ein.
Nach und nach weihte Rothschild den jungen Frankenheim in alle Geheimnisse des Bankgeschäfts ein, bis dieser, noch keine dreißig Jahre alt, die Judengasse verließ und in Paris sein eigenes Bankhaus gründete, aus dem später die Frankenheim-Dynastie hervorgehen sollte.
Die Jahre vergingen, und Frankenheim heiratete und zeugte drei Söhne, die nach dem Tod ihres Vaters die Frankenheim-Banken in Paris, Wien und Rom übernahmen und zu prosperierenden Unternehmen machten.
Im Jahr 1925, nach vielen Generationen von Frankenheims, hatte der greise Chef der Dynastie, Joseph Frankenheim, keinen leiblichen Sohn, der das erfolgreiche, mächtige und in weiten Teilen im Verborgenen arbeitende Netzwerk von Banken hätte weiterführen können.
Und als ob die Geschichte sich nach so vielen Jahren noch einmal wiederholen würde, adoptierte Joseph einen Jungen unbekannter Herkunft, der sich später, wie Salomon Frankenheim zuvor, als genialer Mathematiker herausstellen sollte. Als dieser alt genug war, um das Imperium zu übernehmen, tat er das unter denselben Prinzipien, die die Frankenheims so unermesslich reich gemacht hatten.
Vor einigen Jahren gelang es diesem Mann, die Zürcher Kredit Bank zu erwerben, und seit dieser Zeit firmierte das Frankenheim-Imperium unter dem Namen dieses traditionellen Geldinstituts. Der Name seines Chefs hingegen war nur ganz wenigen bekannt. Wenn überhaupt, kannte man ihn unter dem Decknamen Rhinozeros.
»Das war jetzt eine Menge an Informationen«, schloss Keith Kent seinen Bericht und nahm dankbar eine zweite Tasse Kaffee entgegen, die Monica ihm reichte.
»Wieso ›Rhinozeros‹?«, fragte Tweed.
»Weil einer der Frankenheimschen Vorfahren, der gern auf Großwildjagd in Afrika ging, dort einmal ein riesiges Rhinozeros geschossen und daraufhin den Kopf dieses Tiers zum neuen Symbol für sein Bankenimperium erkoren hat. Er hat Metallplatten mit dem Bild des Tieres gießen und sie an allen Filialen anbringen lassen.«
»Eines verstehe ich nicht«, sagte Newman. »Wie kann dieser geheimnisvolle Oberboss überhaupt eine Schweizer Bank übernehmen? Schließlich legt doch gerade die Schweiz großen Wert darauf, dass ihre Kreditinstitute sich ausschließlich im Besitz von Einheimischen befinden.«
»Rhinozeros ist eben ein cleverer Bursche. Er hat die Direktoren der Zürcher Kredit dazu überredet, nach und nach immer mehr Geld in teure Immobilien außerhalb der Schweiz zu investieren. Niemand hat offenbar bemerkt, dass sämtliche Immobilien zuvor über Strohmänner in den Besitz des Frankenheim-Imperiums übergegangen waren. Als er so achtzig Prozent des Kapitals besaß, fing Rhinozeros damit an, die Immobilien zu verkaufen mit enormem Gewinn natürlich, so etwas versteht sich bei ihm von selbst –, bis er schließlich die Zürcher Kredit in der Tasche hatte. Dann ist er darangegangen, sie umzustrukturieren, und hat seine Frankenheim-Banken in Hamburg, Paris, Wien, Rom, Berlin und Brüssel in ihr
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