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Das Inselcamp

Das Inselcamp

Titel: Das Inselcamp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Steinkuehler
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nahm das aufgeschlagene Buch und stolzierte damit zur Reling. Während alle sie beobachteten, nahm sie die Pose einer Filmdiva an. Das Buch hielt sie lässig in einer Hand. Der Pony verdeckte die Hälfte des Gesichts und gab ihr etwas Geheimnisvolles.
    »Wenn dich aber dein rechtes Auge zum Abfall verführt«, las sie mit rauchiger, gezierter Stimme, »so reiß es aus und wirf’s von dir …« Weiter kam sie nicht. Auf einmal klatschte es von oben auf sie herab, etwas Breiiges, Stinkendes. Es traf ihre Stirn, den kunstvoll geworfenen Pony. Es kleckerte weiter, auf Wange und Nasenspitze.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
    Es sind nur Haare
    Die Mädchen waren alle mit in den engen Waschraum gekommen. Johanna drückte flüssige Seife aus einem geizigen Seifenspender. Tamara holte ein Papiertaschentuch nach dem anderen hervor. Simone lehnte an der Wand und fluchte leise vor sich hin.
    Judith stritt mit einer Frau, die unbedingt ans Waschbecken wollte. »Möwenkacke ist ätzend, wissen Sie«, rief sie sichtlich erregt.»Was meinen Sie: Wenn sie das ins Auge kriegt! Wollen Sie, dass sie blind wird?«
    Britt heulte. Wasser lief ihr übers Gesicht, Seife brannte in den Augen. »Ich seh furchtbar aus«, klagte sie mit Blick in den Spiegel. »Ja«, sagte Simone. »Besser, du reißt dich zusammen.« Sie verlagerte ihr Gewicht von einem auf das andere Bein. »Wir legen gleich an.«
    Pitt sah den Mädchen entgegen, als sie mit Lena, die sie geholt hatte, auf das Deck zurückkamen. Die Insel war in Sicht gekommen, aber das interessierte nur die Touristen und den Diakon. Britts Pony tropfte und sie schnupperte misstrauisch, voller Angst, nicht alle Spuren der Bescherung beseitigt zu haben. »Geht’s wieder?«, fragte Pitt.
    »Ich hab die Nase voll!«, zischte Britt zurück. Andi und Jacques fanden das witzig. Tom setzte eine hochmütige Miene auf. »Es sind doch nur Haare«, bemerkte er. Pitt fuhr zu ihm herum.
    Andi hielt den Atem an. Er kannte die Vorzeichen: Pitt wollte Tom schlagen. Aber es kam noch schlimmer: Pitt griff in seine Gesäßtasche und zog ein Taschenmesser hervor. Er klappte eine Schere heraus. »Ja«, sagte er laut. »Du hast recht. Es sind bloß Haare.«
    »Pitt!«, flüsterte Andi nervös. Die anderen starrten ihn entgeistert an. Tom hob langsam die Hände. Pitt jedoch wandte ihm den Rücken zu und ging mit dem Messer auf Britt zu.
    »Hier«, sagte er herausfordernd. »Wenn dich dein Pony ärgert, so schneid ihn ab.« Er deklamierte wie beim Bibellesen. »Es ist besser für dich, dein Haar zu verlieren als die Freude am Leben.«
    Niemand achtete auf Diakon Jott, der wohl zum ersten Mal seit Beginn der Überfahrt die Reling losließ und einen großen Schritt zu seiner Gruppe hinmachte. Lena blieb im Hintergrund. Zehn standen im Kreis um zwei, die in ihrer Mitte auf einmal ganz allein waren. Britt und Pitt starrten einander in die Augen.
    Du mit deinem albernen Namen! – Ich hab ihn mir nicht ausgesucht. Die anderen konnten beinahe hören, was da tonlos ausgetauscht wurde. Du bildest dir ein, der Größte zu sein. – Und du willst angebetet werden.
    Die anderen kamen sich vor wie im Kino. Angeber! – Zicke! Sie waren mit betroffen und selbst mittendrin. Traust du dich? Traust dich nicht! Ich lache … »Gib her!«, unterbrach Britt die stumme Herausforderung. Im nächsten Augenblick hielt sie die Schere in der Hand.
    »Britt«, sagte Diakon Jott und seine Stimme klang beinahe lebhaft. »Hör nicht auf ihn. Er macht sich nur lustig.« »Das scheint mir nicht«, hörte man Judith und ihre Mutter gleichzeitig sagen. Es war zu spät für einen Einspruch. Britt reckte ihre Hand hoch. Ein Büschel Haare hielt sie darin. Sie zeigte sie wie eine Trophäe. Und ließ sie mit dem Fahrtwind fliegen.
    »Alles ist eitel«, sagte plötzlich Tamara. Sie nahm Britt die Schere aus der Hand und klappte sie zu. Dann zückte sie das Messer, nahm ihren langen Pferdeschwanz und zog ihn über die blanke Klinge. »Aber …«, flüsterte der Diakon. Die anderen ergriff es wie ein Wahn. Auch Simones und Johannas Haare fielen und flatterten kurz darauf im Wind.
    Als Letzte eroberte die kleine Judith das Messer. »Nein!«, entfuhr es ihrer Mutter. Als Judith sie überrascht ansah, fügte sie, ein wenig ruhiger, hinzu: »Bitte, Judith, tu’s nicht.« Judith hatte das Messer schon angesetzt. »Aber, Mutter«, sagte sie langsam. »Es ist doch nur Haar.«

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
    Füchse haben Gruben
    Die Ankunft übertraf an

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