Das Internat
hinunterzuspülen. Der Kontrollverlust, den sie spürte, erschütterte sie. Erst der Mann im Fahrstuhl, und jetzt schüttete sie Psychopharmaka in sich hinein.
Als Nächstes ging sie zum Schreibtisch in ihrem Schlafzimmer und nahm den Telefonhörer ab. Sie tippte eine Zahlenfolge und war überrascht, dass sie die Nummer ihres Psychiaters auswendig kannte. Jahrelang hatte sie ihn nicht mehr aufgesucht, nicht seit Larry Präsident geworden war. Es hatte Gott sei Dank keinen Grund gegeben.
"Jane Dunbar", sagte sie, als die Empfangsdame sich meldete. "Ich muss sofort mit dem Doktor sprechen. Es ist ein Notfall."
Selbst wenn er in einem Gespräch wäre, würde die Frau sie durchstellen. Janes Akte wurde unter ihrem Mädchennamen geführt, trotzdem wusste er, wer Jane Dunbar war, und würde sich Zeit für sie nehmen. Sie könnten sich im Weißen Haus treffen, wenn sie darauf bestünde, aber bei diesem Problem wäre es nicht ratsam. Larry wusste von ihrer Therapie. Die schmutzigen Details hatte sie jedoch ausgelassen. Eigentlich wusste das ganze Land von ihrer Therapie. Es war während des Wahlkampfes herausgekommen, sodass Jane gezwungen gewesen war, damit sofort an die Öffentlichkeit zu gehen und über ihren Zustand Auskunft zu geben.
Larrys Wahlkampfmanager hatte ihr erzählt, dass es Larry sogar einen Vorteil verschaffen würde, wenn sie sich als menschlich und verletzlich präsentierte – als jemand, mit dem sich die Frauen des Landes identifizieren konnten. Auf einer Pressekonferenz und später in einer Talkshow hatte Jane verraten, dass sie wegen einer Depression behandelt worden war, was nicht gelogen war. Die Ursache der Depression hatte Jane nicht genannt, weil das nicht nur den Wahlkampf ruiniert hätte, sondern auch ihre Ehe.
Eine männliche Stimme meldete sich. "Jane, sind Sie in Ordnung?"
"Nein", sagte Jane, "mir geht es überhaupt nicht gut. Haben Sie Zeit für mich?"
"Wo sind Sie gerade?"
"Pennsylvania Avenue. Im Schlafzimmer."
"Ich lasse alle Termine streichen und werde Zeit haben, sobald Sie hier eingetroffen sind."
"Danke", sagte sie und hasste es, wie gebrochen ihre Stimme klang.
"Wie fühlen Sie sich?"
"Lächerlich. Ich schäme mich." Jane zog das Taschentuch aus ihrem Ärmel und putzte sich vorsichtig die Nase. Als sie es wieder vom Gesicht nahm, war das feine irische Leinen rot gefleckt.
Nasenbluten. Grundgütiger. Nun gut, ihre alten Dämonen hatten sie eingeholt. Warum nicht auch das Nasenbluten?
"Ich war in einem Aufzug im Weißen Haus", sagte sie. "Könnten Sie sich vorstellen, wie ich es mit einem fremden Mann im Aufzug des Weißen Hauses tue?"
"Das tue ich lieber nicht", erwiderte der Arzt.
Verzweifelt sah sie zu ihm auf. "Warum ist das nach all der Zeit passiert? Und warum ist es immer noch so aufregend?" Sie hätte schmerzhaft sagen können, entwürdigend oder riskant. Jedes dieser Wörter hätte den Kern der Sache getroffen, aber Jane hatte sich für "aufregend" entschieden.
In einem großen Ledersessel saß er ihr gegenüber, die Beine überschlagen, das Tageslicht, das vom Fenster hereinfiel, erhellte sein stahlgraues Haar. Irgendwie schaffte er es, so auszusehen, als fände er sie nicht widerlich. Deshalb war sie nach der ersten Sitzung vor fünfzehn Jahren wieder zu ihm zurückgekehrt. Sie hatte ihm alles erzählt, und er hatte weder Entsetzen noch Wut gezeigt, noch hatte er irgendein Urteil über sie gefällt. Wenn überhaupt, dann empfand er Mitleid mit ihr. Unermessliches Mitleid.
"Es ist aufregend, weil Ihr Nervensystem sich nur an das Vergnügen erinnert", erklärte er, "und es will mehr davon. So funktionieren Süchte. Sie reduzieren den emotionalen Schmerz, das Stressgefühl und schwächen Langeweile ab. Der Effekt ist nur temporär, aber sehr intensiv. Sonst würde es nicht abhängig machen."
Jane verknotete ihr Taschentuch – und fragte sich, ob sie die Knoten jemals wieder herausbekäme. "Wird das wieder passieren? Habe ich einen Rückfall?"
Er dachte über ihre Frage nach. "Nein, das glaube ich nicht. Sie stehen unter einem enormen Druck. In diesen Situationen tritt Suchtverhalten häufig auf, unabhängig davon, wie lange es her ist."
Von dem Ausmaß des Drucks, der auf ihr lastete, hatte er keine Vorstellung. Über den Sex hatte Jane ihm alles erzählt, aber einige Dinge über das Internat hatte sie ausgelassen – und jetzt gab es Jameson Cross. "Ich liebe meinen Mann, und das würde ihn umbringen. Sie wissen, zu welch scheußlichen Dingen ich fähig
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