Das Internat
über das kalkweiße Gesicht des Mädchens gelacht, als Mattie ihn entdeckt hatte. Sofort waren sie in den Kiefernwald gehuscht, was Jameson davon überzeugt hatte, dass sie nichts Gutes im Schilde führten.
Er hatte gedacht, dass es um Drogen oder Alkohol ging, wahrscheinlich irgendein Ritual, und Jameson ließ es dabei bewenden. Jetzt dachte er erstmals wieder darüber nach. Wenn es darum ging, high zu werden, rieb man kein Rauschmittel auf Hände und Wangen. Aber wenn es eine Art Kräutertinktur war, so etwas wie Herzwein …
Jameson überquerte den Hof und durchquerte einen der steinernen Durchgänge, die sich wie ein Labyrinth durch den Gebäudekomplex zogen. Er fragte sich, ob die alte Kapelle noch in Betrieb war. Heute wünschte er sich, er hätte die Mädchen damals besser im Auge behalten. Sie waren immer für sich gewesen. Keine ihrer Unterhaltungen hatte er je mitbekommen, doch sie hatten oft so gewirkt, als hätten sie etwas vorgehabt.
Woran er sich noch genau erinnerte, war der Morgen, an dem er seinen Bruder mit Miss Rowe streiten sah. Jameson war gebeten worden, einen ungeplanten Zwischenstopp einzulegen, und als er eine Kiste mit Vorräten in die Cafeteria brachte, hörte er Geräusche aus der Kapelle. Ein Mann und eine Frau debattierten, und der wütende Tonfall veranlasste Jameson, die Tür zu öffnen.
Anscheinend waren sie in die Kapelle gegangen, um ihre Ruhe zu haben, aber sie hatten nicht bemerkt, wie laut ihr Geflüster in dem Altarraum widerhallte. Jameson hatte Billys näselnde Stimme und seine schlechte Ausdrucksweise erkannt. Die weibliche Stimme kam ihm nicht bekannt vor, bis er um die Ecke lugte und sie sah.
Niemand trug sein Haar im Nacken so eng geflochten wie die Direktorin der Rowe-Akademie. Millicent Rowe bezichtigte Billy der Erpressung und drohte mit Rache. Jameson hörte sie sagen, dass es ihr egal sei, woher er die Drogen nehme, er solle sie damit in Ruhe lassen. Sie erinnerte ihn daran, dass er alles andere als clean sei. Billy hatte damals schon ein Vorstrafenregister, er war bereits im Knast gewesen. Miss Rowe warnte ihn, dass er es bereuen würde, wenn er etwas Dummes täte.
Dass es um Drogen ging, überraschte Jameson nicht. Billy war unter anderem wegen seines Drogenkonsums von den Eltern rausgeschmissen worden, und der Handel mit illegalen Substanzen hatte ihn für einige Zeit ins Gefängnis gebracht. James
war
allerdings überrascht von Millicent Rowe. Sie sah nicht wie eine Frau aus, die Gärtner oder Drogendealer zu ihren Freunden zählte, und Billy war beides.
Miss Rowes Vater war Gouverneur und ihre Familie wohlhabend, wenn nicht reich. Jameson hatte herausgefunden, dass das Geld in einem Erziehungsfonds steckte, den ihre Großmutter angelegt hatte. Darauf hatte Miss Rowe keinen Zugriff. Trotzdem hatte Jameson sie einige Male im Ort beim Einkaufen gesehen, einmal erstand sie teure Smaragdohrstecker. Jameson wusste in etwa, was eine Schulleiterin verdiente – ein Monatsgehalt hätte gerade mal für die Goldfassung gereicht.
Seinen Bruder mit ihr zu sehen, war ein anderer Grund gewesen, weshalb Jameson gezögert hatte, bei der Verhandlung auszusagen. Was er gehört hatte, konnte als Motiv für einen Mord ausgelegt werden. Wenn das herausgekommen wäre, hätte er Billy mehr geschadet als genutzt. Aber Jameson hätte sich deshalb keine Sorgen machen müssen. Von keiner Seite war er aufgerufen worden. Die Anklage verfügte nicht nur über Fingerabdrücke und Blutspuren: Sie hatten auch ein paar Schülerinnen, die behaupteten, Billy morgens gesehen zu haben, wie er das Apartment betreten habe. Ein klarer Fall. Jeder dachte das damals, und Jameson war da keine Ausnahme gewesen.
Gedankenversunken schlenderte er zurück zu seinem Auto. Als er wenig später in seinen Geländewagen stieg, dachte er über die nächsten logischen Schritte nach. Er wartete auf den Autopsiebericht über Billys Todesursache. In der Zwischenzeit beabsichtigte er, Tansy Black einen unangekündigten Besuch abzustatten. Sie hatte sich geweigert, ihn zu treffen, als er sie am Telefon darum gebeten hatte. Aber er würde ihr keine zweite Chance für eine Ablehnung geben. Noch gab er die Hoffnung nicht auf, die Originaldokumente in die Finger zu bekommen. Niemand schien ihm sagen zu wollen, wer die Akten hatte versiegeln lassen und warum. Und das war das Mindeste, was man normalerweise erfuhr.
Videokassetten. Eine fehlt.
Das war Jamesons nächster Schritt. Aber sogar als er damit beschäftigt
Weitere Kostenlose Bücher