Das irische Erbe
auf seine Uhr. »Lass uns mal sehen.«
Die Männer gingen wieder in den Stall und Claire folgte ihnen, blieb aber etwas weiter zurück. Lautes Schnauben war zu hören. Alex und Tim blieben vor der Box stehen und besprachen sich leise. Ihre Körper versperrten den Blick auf die Stute. Sie sah sich um und schlüpfte dann in die leer stehende Nachbarbox. Durch die Gitterstäbe konnte sie das Tier nun sehen. Die Stute zitterte am ganzen Körper und drängte sich in die Ecke.
»Claire pass auf, geh besser weg da. Sie kann nach dir ausschlagen und mit dem Huf durch die Stäbe kommen und dich treffen«, warnte Tim.
»Ja, das habe ich einmal erlebt«, sagte Alex. »Das Tier hing fest und musste anschließend eingeschläfert werden, weil es einen komplizierten Beinbruch hatte.«
Claire ging dennoch etwas näher und musterte das Tier, das bereits schweißnass war. Der Schweif schlug unruhig hin und her, die Einstreu war zerwühlt, der blanke Boden war zu sehen. Plötzlich blickte die Stute zu ihr hin und wieherte laut und schrill.
»Es hat keinen Zweck«, sagte Alex. »Sie kippt uns noch um. Die Spritze schlägt bei ihr nicht an. Wahrscheinlich durch den Stress.«
Tim zuckte mit den Schultern.
»Jetzt verstehe ich auch, warum der Verkäufer nicht lange mit mir gehandelt hat.«
»Tja, im Moment weiß ich nicht, wie ich dir weiterhelfen kann. Vielleicht wird es ja mit der Zeit besser.«
Die Männer gingen hinaus. Claire blieb in der Box stehen und beobachtete das Tier. Hals und Flanken waren nass, ein Zittern lief über die Haut. Mit weit geöffneten Nüstern wirkte die Stute, als habe sie den Teufel gesehen.
Was mochte mit ihr passiert sein, dass sie solch panische Angst hatte? Sie verstand nichts von Pferden, sah aber, dass die Stute hübsch war mit ihrem kleinen ausdrucksvollen Kopf, den Tim › trocken ‹ genannt hatte, und einem halbmondförmigen Abzeichen auf der Stirn. Ansonsten gab es keine weiteren weißen Stellen. Das Fell war das Schönste an ihr. Ein warmer Goldton, eher braun als rot. Die Mähne war lang und nicht frisiert. Der Schweif reichte fast bis zum Boden und war ziemlich dünn. Tim meinte, er müsse unbedingt geschnitten werden. Wieder sah sie zum Kopf des Tieres hin. Die Stute fixierte sie, als warte sie auf etwas. Wieder berührte sie das Tier und die Angst, die sie fast körperlich zu spüren glaubte. Man musste ihr doch irgendwie helfen können. Irgendwas war mit ihr passiert und hatte sie zu dem gemacht, was sie war. Leise verließ sie die Box und hatte den Eindruck, die Stute sehe ihr hinterher.
Alex war noch da, als sie hinauskam. Er und Tim fachsimpelten gerade über ein Springpferd.
Als sie zu ihnen trat, lächelte Alex und sie fragte: »Reiten Sie auch?«
»Ja, so oft ich kann. Und Sie? Mögen Sie auch Pferde?«
»Ja«, sagte Claire zögernd. »Aber ich kann nicht reiten. Ich habe mich irgendwie nie so richtig getraut. Im Gegensatz zu Tim.«
Ihr Bruder legte seinen Arm um sie und sagte: »Alex, wenn du sie dazu bringst, auf ein Pferd zu steigen, ziehe ich meinen Hut. Aber ich glaube, das schaffst nicht einmal du.«
Alex lachte und sagte: »Mal sehen. Wird schon nicht so schwer sein.«
»Das glaube ich schon«, entgegnete Tim. »Sie kann sehr stur sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie auf dich hören wird.«
»Ach, tatsächlich?«
Claire mischte sich ein: »Hallo, ich bin auch noch da.«
Die Männer lachten.
»Wie wäre es denn?«, fragte Alex.
»Nein, keine Chance,« winkte sie ab. »Der innere Schweinehund ist einfach zu groß.«
Sie wollte sich schon abwenden, als ihr etwas einfiel: »Wissen Sie vielleicht zufällig, wer der Besitzer des schmalen Grundstücks direkt hinter dem Steinhaus ist?«
»Nein, aber ein Freund von mir weiß es sicher. Er ist Architekt und kennt viele Leute hier.«
Ihr Herz klopfte ein paar Takte schneller.
»Sie möchten ein Hotel eröffnen, nicht wahr?«
»Ja, genau.«
»Ich finde die Idee gut. Es wäre eine passende Ergänzung zu den Pferden. Und dann die Umgebung hier. Einfach perfekt.«
Sie freute sich. »Ja, das denke ich auch. Aber ich brauche unbedingt das Land, weil wir einiges ändern müssen.«
»Ich werde meinen Freund fragen und anrufen, sobald ich etwas herausgefunden habe.«
»Das wäre nett von Ihnen. Tausend Dank.«
Noch am gleichen Abend rief Alex an und nannte ihr den Namen und die Adresse des Eigentümers.
»Allerdings will der Eigentümer nicht verkaufen. Mein Freund meint, Sie hätten keine Aussichten, das
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