Das Isaac-Quartett
anschwindelte. Hätte er von Honeys Beziehungen gewusst, hätte er ihr niemals die Beine zerschunden. Er hätte sie mit einer besseren Ecke und einem saubereren Kundenkreis belohnt. Dieses hässliche Judenmädchen hatte also einen Draht zur Polizei.
Auf der Rückfahrt lachte Brodsky. »Mann, du machst jedem kleinen Zuhälter Angst. Hast du seine Augen gesehen, Isaac?«
»Halt’s Maul«, sagte Isaac. Brodsky war vollauf zufrieden. Er liebte es, von seinem Boss beschimpft zu werden. Wenn Isaac ihn anschnauzte, spürte er neue Kraft und war wieder auf der Hut. In Brodskys Augen war kein Bulle in der ganzen Stadt, einschließlich diesem irischen Chef, First Deputy O’Roarke, einen Furz wert. Der Chauffeur schwor auf Isaac. ›Fliegt er nicht nach Paris in Frankreich?‹, argumentierte Brodsky. ›Welcher andere Bulle reist sechstausend Kilometer für einen Vortrag?‹
Das Mädchen rutschte von Isaacs Schoß. Am Union Square geriet sie beim Anblick der Bänke und des gefrorenen Rasens in Panik. In der Second Avenue vergrub sie ihr Kinn in die Polsterung unter dem Fenster. Mit bitterem Mund und runterhängenden Backen beobachtete sie missmutig Isaacs Abstieg in die Lower East Side.
Brodsky bemerkte, dass sich der Zustand des Mädchens verschlechterte. »Magst du einen Drops, Honey?«
»Lass sie in Ruhe«, sagte Isaac.
Sie parkten in einer Lücke hinter den Sozialbauten an der Essex Street. Isaac schob seinen Dienstausweis sichtbar aufs Armaturenbrett. Der Geruch von Urin verfolgte sie bis zum Hintereingang des Wohnblocks. Brodsky wollte sich zu dem Geruch äußern, aber er bemerkte im letzten Moment Isaacs Blick. Er zeigte dem Portier mit dem kaputten Gummiknüppel und den Stoppeln im Gesicht sein Dienstabzeichen. Mit sichtlicher Verachtung las er im Aufzug die Graffiti. Die Essex Street dünstete Moschus und den ätzenden Charme eines Zoos aus. Brodsky wohnte in einem Haus oben in Spuyten Duyvil Hill. In die Essex, Clinton und Delancey kam er, um Meerrettich und Zwiebelbrot zu kaufen, da beides in seiner Gegend unbekannt war.
In den überheizten Korridoren des neunten Stocks verloren Isaac und das Mädchen ihre winterliche Röte. Sie gingen in eine Wohnung mit graugrünen Wänden. Brodsky trat als Letzter ein. Ein Mann in einem seidenen Schlafanzug ohne einen einzigen Zahn im Gesicht drückte das Mädchen an sich und weinte in seinen Ärmel. Als er Brodsky bemerkte, der ihm völlig fremd war, riss er sich zusammen. »Isaac, ich suche monatelang, und du findest sie in eineinhalb Stunden. Du kannst hexen, Isaac. Als du sie zum letzten Mal gesehen hast, war sie noch ein Baby.«
»Ich hatte ein Bild von ihr, Mordecai. Es war keine Leistung.«
»Keine Leistung, sagt er. Ohne dich wäre die Polizei völlig aufgeschmissen.«
»Ich muss jetzt gehen, Mordecai.« Der Chef behielt Honey im Auge; sie blieb in der Umarmung ihres Vaters verkrampft. Ihre Züge waren so zerlaufen wie die einer aufblasbaren Puppe.
»Noch was, Isaac. Philip sucht dich.«
Isaac ging zur Tür; er wollte sich nicht in einen weiteren Familienzwist ziehen lassen. Schließlich hatte er selbst genug am Hals: eine wilde, unbändige Tochter, die mitten im Winter Ehemänner abschüttelte.
»Darum kümmere ich mich später, Mordecai. Jetzt nicht.« Brodsky konnte Schreie und Weinen und das Echo einer Ohrfeige aus der Wohnung dringen hören, als er mit Isaac in den Aufzug stieg. Der Tumult, den Mordecai und Honey veranstalteten, nötigte ihm ein Lächeln ab. Der Chef stieß ihn mit einem Daumen in die Rippen. »Denk an was anderes, Brodsky. Das ist eine Privatangelegenheit.«
»Wer ist der Typ, Isaac? Der Geliebte deiner Mutter, oder was?«
»Ich bin mit ihm zur High School gegangen.«
»Du nimmst mich auf den Arm. Der könnte doch dein Großvater sein, das schwör ich dir.«
»Vergiss die ganze Angelegenheit. Mordecai hat keinen Zahnarzt in der Park Avenue, der sich um sein Zahnfleisch kümmert.«
»Was macht er beruflich, Isaac?«
»Mordecai? Er ist beim Zweiten Weltkrieg auf der Strecke geblieben. Er hat alle Kriegerdenkmäler von Chinatown bis Corlears Hook beharkt, ohne an seine eigenen Karotten zu denken.«
Was hätte Isaac seinem Chauffeur erzählen können? Mordecai hatte sich hundert Meter neben der Seward Park High School niedergelassen und sich nie mehr von der Stelle gerührt. Isaac hatte nichts dagegen, wenn jemand sich auf einen bestimmten Umkreis beschränkte. Er war am West Broadway geboren in einem Häuserblock, der Juden aus
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