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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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verlassen hatten. Der Junge hatte in die Luft getreten, ohne sich hinzukauern oder auch nur sein schönes Gesicht anzuspannen, und er hatte seine Füße in Coens Lunge geschmettert. Coen lag auf dem Fußboden. Unter dem Herzen bohrte sich ein Schmerz in ihn hinein, der seine Kehle rasseln ließ und ihm die Eingeweide in den Mund trieb. Er glaubte sterben zu müssen. Doch seine Lunge arbeitete. Blut strömte in seinen Kopf. Coen stand auf. Die Lollipops fielen ihm wieder ein.
6
    Die Besitzer des Restaurants in der Ludlow Street waren wütend auf Ida Stutz. Sie ließ sich nicht mehr breitschlagen, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten. Ida wurde widerspenstig. Beharrlich nahm sie ihr Recht auf eine echte Mittagspause in Anspruch. Seit seiner Rückkehr nach Amerika hatte der Chef nicht an die trübe Fensterscheibe des Restaurants gepocht und Ida machte sich auf die Suche nach ihm.
    Sie machte sich Sorgen um Isaac. Wenn sie ihn nicht mit Haferflockensuppe und Pilzen vollstopfen konnte, würde er bald einer dieser hageren Inspektoren sein. Es lag nicht in ihrer Natur, Männern gegenüber kleinlich zu sein. Isaac brauchte ihr Fleisch, um sich von seinen Ängsten und von der Belastung zu befreien, die es bedeutete, Vater, Ehemann, Sohn und ein Bulle mit Hirn zu sein. Ida machte ihm das Leben einfacher. Sie wusste, dass er eine verschollene Tochter, eine zänkische Frau und eine Mutter hatte, die im Krankenhaus lag und die Araber in ihr Bett ließ, die arme Sophie. Ida machte sich auf den Weg in die Rivington Street, zu Isaacs Wohnung. Sie wollte seine Blumen umtopfen, den Kühlschrank innen auswaschen und ihn an der Feuertreppe erwarten.
    Die Straßen kamen ihr verrottet vor. Überreste von Kisten aus der Konservenfabrik flogen im Rinnstein herum und holperten wie Finger und lose Glieder einer Puppe über die Kanaldeckel. Der Februarwind konnte sich durch Holz hindurchfressen, schneidend durch die Ritzen der niedrigen, ausgehöhlten Gebäude pfeifen, den alten jüdischen Bettler auf der Broome Street dazu bringen, seinen Kopf tief in den Mantelkragen zu stecken, durch die unterste Schicht von Idas Röcken dringen und in die Nähte ihrer gewaltigen Schlüpfer kneifen. Ida betete, es möge schneien. Der dunkle Snegu ihrer russischen Großmutter – in der Delancey Street war der Schnee eher blau als weiß – konnte alle Rinnsteine mit Eis überziehen, den Schutt verbergen und die Picklefabriken dazu zwingen, ihre Geschäfte fern von den Bürgersteigen weiterzuführen.
    Ida trauerte der Vergangenheit nicht nach. Ihr machte es nichts aus, dass auf dem Markt der Essex Street Perücken anstelle von frischem Bauernkäse verkauft wurden. Die Kubaner hatten einen Zustrom an israelischen Lebensmittelhändlern in die Essex Street mit sich gebracht. Das begrüßte Ida. Sie stritt sich mit den Israelis über ihre heidnischen Grundsätze, drückte ihr Misstrauen gegenüber gelobten Ländern und Juden mit Panzern aus, doch sie stritt nur aus Liebe. Die Kubaner brachten Idas Blintzen Verehrung entgegen, wenn sie auch das Wort nicht aussprechen konnten.
    Hände, grobe Hände ohne Fäustlinge oder Fingerhandschuhe, packten sie in der Nähe von Isaacs Wohnung und zogen sie in einen Hauseingang. Ein Durcheinander von Masken umgab sie. Die glühenden, keuchenden Augen über ihr ließen sie beben. Ida erkannte die Lollipop-Bande. Es war das Dreiergespann, das sie im Restaurant aufgesucht, Blintzen gestohlen und an ihrem Busen gefummelt hatte und dann eine Ecke weiter gegangen war, um Sophie den Schädel einzuschlagen. Unter einer der Masken konnte Ida das Haar eines Mädchens riechen. Das Mädchen gab Knurrlaute von sich. Die beiden anderen waren ruhig.
    »Isaacs Fotze«, sagte das Mädchen, das Idas Kinn hochhob. Die beiden Jungen mussten sie zurückhalten. »Sie ist harmlos«, sagte der kleinere Junge. »Sieh sie dir doch an.«
    Das Mädchen ließ sich nicht so leicht versöhnlich stimmen. »Sie macht für ihn die Beine breit. Das muss abfärben. Ich sag euch, das ist eine Hure, auch wenn sie noch so bieder ist.« Das Mädchen stellte sich auf die Zehenspitzen, um Ida ein Büschel Haare auszureißen. »Grüß den süßen Isaac von Esther Rose.«
    »Halt den Mund«, sagte der kleinere Junge.
    Der größere Junge drückte sich an eine Reihe verbeulter Briefkästen und wandte sich ab. Als Ida sich gegen die Finger zur Wehr setzte, die an ihrer Kopfhaut zerrten, empfand sie die unruhigen Bewegungen des Jungen. Er wich vor seinen Freunden zurück. Der

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