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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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du nachprüfen. Ich habe sie nicht einfach auf der Straße aufgelesen … Sie kennt mich von früher, Manfred. Wir haben gemeinsam Akkordeonunterricht beim Küster genommen. Sie war die erste jüdische Irin, die ich je gesehen habe.«
    Wie konnte Coen einen Mann so tief sinken lassen? Marilyn war vor einer Stunde in seine Wohnung gekommen, nackt unter dem Mantel, atemlos, mit geschwollenen Wangen und Blut in der Nase. Coen war bewusstgeworden, dass die geschwollene Ruine ihres Gesichtes methodisch angelegt worden war. Zwischen den Plätzchen in ihrer Einkaufstasche entdeckte er ihren Rock, die Bluse und den zerrissenen Schlüpfer. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dies Isaacs Werk gewesen sein sollte. Wenn der Chef zu körperlicher Züchtigung aufgelegt gewesen wäre, hätte er Marilyns Gesicht nicht verunstaltet. Er wäre zu Manfred gekommen, der sie vor ihm verbarg. Coen nutzte Marilyns Benommenheit. Es gelang ihm, Brian Connells Namen aus ihr rauszuholen. Er eilte in die Elizabeth Street. Coen besaß nicht Isaacs Behendigkeit. Er war kein guter Stratege. Er hatte Brian nur ohrfeigen wollen, aber was dann? Sollte er Brian im Revier ausziehen und ihn entkleidet auf allen Vieren rumkriechen lassen?
    Coen fühlte sich elend. Brian schluchzte. Die Ohren des Bullen wurden feucht. Coen misstraute den Anti-Crime-Boys. Für ihn waren sie Eindringlinge, die gern Detective spielten. Er verlor jede Lust, Brian seiner Hose zu berauben.
    »Hör mir mal zu, du Schuft. Wenn du Marilyn wiedersiehst, gehst du in die entgegengesetzte Richtung. Wenn du jemals wieder in ihre Nähe kommst, wirst du dir wünschen, Manhattan hätte es nie gegeben.«
    Brians Partner blieben an der Wand stehen und gaben keinen Mucks von sich. Mit einem blauäugigen Kriminalbeamten konnten sie sich nicht messen. Sie waren nichts als ruhmreiche Streifenpolizisten, Bullen ohne Uniform, die sich nicht auf Coen stürzen konnten. Isaac hätte die gesamte Truppe ausgehoben, sie an die Nigger und die menschenfressenden Haie der Bronx verfüttert.
    Von der Elizabeth Street aus machte Coen sich auf einen Rundgang durch die Jugendzentren der Lower East Side. Er hielt nach wild wütenden Teenagern Ausschau, nach Jungen und Mädchen, die zu den Lollipops gehören konnten. Sein dritter Halt galt einem jüdischen Jugendzentrum an der Rivington, Ecke Suffolk. Das Fehlen von Käppchen und religiösen Requisiten war auffallend. Wo waren die Juden der Suffolk Street?
    In dem Jugendzentrum wimmelte es von Chinesen, Lateinamerikanern, Schwarzen und bärbeißigen Weißen vom Seward Park. Die rechteckige Sporthalle sah aus, als sei ein nächtlicher Wirbelsturm durchgefegt. Die Wände waren leer geplündert, das Holz war verschwunden, und dort, wo Wandschmuck und Basketballkörbe hätten sein sollen, waren Löcher.
    Auf die Wand gegenüber der Tür war eine Serie von riesigen, schlangenartigen Genitalien gemalt, die mit »Esther Rose« gezeichnet waren. Die Künstlerin hatte die Schamhaare mit peinlicher Genauigkeit ausgeführt, sie mit Lidschatten und verschiedenen Lippenstifttönen belegt. »Esther Rose« schien eine eigene verzerrte Sicht der Dinge zu haben; ihre Klitorides waren viel größer als ihre Schwänze. Coen genoss die Lippenstiftkunst. »Esther Rose« hatte kleine Augäpfel und Nagezähnchen um den Wust von Schamhaaren herumgemalt.
    In schockfarbenem Rosa waren Slogans unter »Esther Roses« Genitalien gekritzelt.
     
    »RUPERT SAGT, WIR GEHEN ALLE UNTER, WENN DIE ARABER UND DIE JUDEN SICH NICHT KÜSSEN«
     
    »DAS BRUTTOSOZIALPRODUKT IST EINE ERFINDUNG VON BANKIERS OHNE HODEN«
     
    »RUPERT SAGT, GEORGE WASHINGTON WIRD VIEL EHER IN VERGESSENHEIT GERATEN ALS WILLIE MAYS«
     
    »SAK’S AND GIMBEL’S SIND DIE HUREN VON NEW YORK, SAGT RUPERT«
     
    Coen konnte sich Ruperts Aussprüchen nicht widmen. Er musste sich unter die Bevölkerung des Jugendzentrums mischen, nach verdächtigen Gegenständen und Gesichtern Ausschau halten, eine Bande auftreiben, die möglicherweise Frauen zusammenschlug.
    Jungen in Unterhemden und mit krempenlosen Hüten trieben sich von einer Ecke zur anderen, wobei sie Coen und sein kariertes Sakko umgingen. Ihr Vokabular verblüffte ihn, bis er merkte, dass »rote Berge«, »Stierblut« und »Kolonial« Namen von billigen Weinen waren.
    Die kleinen Alkis fingen an, Coen zu verhöhnen. Sie sammelten sich um eine Tischtennisplatte, die aus einem gekrümmten grünen Netz und einer Reihe von Hügeln bestand. Der Lokalmatador, ein lauter,

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