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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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gescheiter junger Mann, der frisch von der Journalistenschule gekommen war und einen Hang dazu hatte, die geringfügigen Vergehen seiner eigenen Generation aufzuklären. Eine Handvoll Zeitschriften hatte ihn zu diesem Unterfangen ermutigt: nichts Handfestes, keine konkreten Zusagen, doch wenn es ihm gelänge, den Vater von Rupert Weil, diesem Ungeheuer mit Babyspeck am Kinn, zu interviewen, würde ihn auf die Dauer keine Zeitschrift abweisen können. Seine Schenkel brannten. Das Kauern war er nicht direkt gewöhnt. Die Schwärze im Schlüsselloch hatte seinen Blick verschleiert.
    »Ich habe fünfzig Dollar für Sie, Mr. Weil … für eine kleine Unterhaltung«, sagte er. In der Tasche hatte er eine eingerissene Dollarnote und zwei Münzen für die U-Bahn. Er war entschlossen, den Vater des kleinen Monsters aus seiner Höhle zu locken, diesen Einsiedler, diesen gescheiterten Schachspieler, diesen Hanswurst der Essex Street, der früher mit dem großen Isaac Sidel befreundet gewesen war, oder er würde sich mit einem Bluff den Zutritt in die Wohnung erschleichen. »Ich bin kein Pressehai, Mr. Weil. Ich würde Ihren Jungen nicht in den Schmutz ziehen. Ich bin Tony Brill, der Journalist. Ich habe Beziehungen, Mr. Weil … Ich kann die Polizei einwickeln, wenn ich Rupert als Helden hinstelle … Das liegt ganz bei Ihnen.«
    Philip versteckte sich in der Küche; er war gegen Tony Brills Beschwörungen immun. Er wollte Ruperts Geschichte nicht verkaufen, ganz gleich, welche Summe der Journalist auch nennen mochte. Er wurde von Anrufen, Telegrammen und dem Klopfen an seiner Wohnungstür bestürmt. Die Zeitungen hatten Ruperts Gesicht groß herausgebracht und Sprüche über Zerrüttung und Bandentum darunter geschmiert. Die Lollipop-Bande, ein Flächenbombardement. Rupert Weil, jugendlicher Unhold. Esther Rose, Verführerin, Heilige des Bösen, Ex-JDL, Mama der Lollipops. Stanley Chin, Raufbold aus Hongkong. Ein fetter Kriminalbeamter, Cowboy Rosenblatt, spukte durch Philips Fernsehbild. Cowboy stieß von Stanleys Krankenzimmer, das in ein solides Gefängnis verwandelt worden war, Warnungen an alle potenziellen Lollipops aus und besudelte alle Sender mit den Profilen von Rupert und Esther Rose, mit Selbstbeweihräucherung und mit Anekdoten aus seiner Polizeilaufbahn. In keiner der Sendungen und Nachrichtenreportagen, in denen Cowboy Rosenblatt groß herausgestellt wurde, konnte Philip Isaac entdecken; keiner der Beamten, die ihn mit ihren Anrufen belästigten, kam von Isaacs Abteilung.
    Als der Mann mit der leisen, eindringlichen Stimme aus dem Büro des Staatsanwalts versuchte, Philip telefonisch einzuschüchtern, um ihm Informationen zu entlocken, plärrte Philip ins Telefon: »Ich rede nur mit Isaac und mit niemandem sonst.« Doch Isaac suchte ihn nicht auf. Nach einem einzigen Besuch nur war der Chef aus Philips Leben entschwunden. Philip musste sich allein in die Küche stehlen und über den Wahnsinn seines Jungen grübeln.
    Philip schloss die Augen; er wollte die salzigen Berechnungen abschütteln, die ätzenden Flüssigkeiten aus seinem Schädel rinnen lassen. Das Denken konnte ihn zugrunde richten; eine Nase reibt sich an den gemalten Quadraten eines Schachbretts. Es gelang ihm nicht, das Kläffen vor der Tür abzustellen. In dem Moment, in dem er sich diesen Geräuschen ergab und sich an die Wand lehnte, übten sie eine eindeutige Wirkung auf ihn aus: Sie zogen ihn aus der Küche. Die Laute kamen ihm zunehmend vertrauter vor. Er presste sein Ohr an die Tür.
    »Lass mich rein, Papa.«
    »Rupert?«, sagte er und machte sich nervös an der Türkette zu schaffen. Wie hätte Tony Brill, selbst, wenn er ein Zauberkünstler im Nachahmen von Stimmen gewesen wäre, die kleinsten, typischsten Schwankungen in Ruperts Stimme kennen können? Philip streckte seine Hand durch den Türspalt, packte nach einer Tacke und zerrte Rupert nach drinnen. Der Speck an den Wangen war verschwunden. Rupert sah ausgemergelt aus. Er trug die Jacke eines Streifenpolizisten. Das war seine einzige Verkleidung. Wenn man einmal fest angezogen hätte, hätte die Jacke fast auf seine Knöchel gereicht. In den dunklen, um ihn wogenden Stoff verschnürt hatte Rupert keine Fäuste, keinen Hals, keine Brust. Philip entwirrte ihn aus dem Sack. Bis auf kaputte Turnschuhe und eine lange Hose war er nackt unter der Jacke; die ersten männlichen Haare sprießten fast blond über seinen Brustwarzen. Ein Schrei entfuhr Philips Kehle; seine irrwitzige Liebe zu

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