Das Isaac-Quartett
rief er und ballte seine Faust um die Scheine.
Der Journalist bemühte sich Schritt zu halten. »Rupert, träumst du manchmal von Isaacs Mutter?«
»Nur auf leeren Magen.«
»Wie oft kommt das vor?«
»Jede zweite Nacht.«
Stanley Chin konnte keine Mahlzeit zu sich nehmen, ohne von zwei Kriminalbeamten flankiert zu sein. Die Herren aßen seine gedämpften Backpflaumen. Stanley ignorierte die Krankenschwestern, wenn sie immer wieder die alte Leier über den Zustand seiner Eingeweide anstimmten. Er war ihr liebster Gefangener; die Krankenschwestern von St. Bartholomew wussten einen Delinquenten mit schönen Gesichtszügen zu schätzen. Doch als er am Sonntag die neusten Nachrichten von den Kriminalbeamten Murray und John erfuhr, schrumpften seine Eingeweide: Die Jüdin, Esther Rose, hatte im Präsidium stark wirkende Mayonnaise gegessen; die Gerichtsmediziner hatten ihre Augenbrauen mit der Pinzette von der Wand gezupft. Die Beamten kratzten sich hinter den Ohren. Sie arbeiteten für Rosenblatt, das hohe jüdische Tier, doch Esther Rose weinten sie nicht nach. Wenn es sein musste, hätten sie diesen Chinesen mit Handschellen ans Bett gefesselt. Sie erwarteten Blue Eyes. Isaac musste seine »Engel« herschicken, um Stanley Chin zu entführen. Der Chef verlor sein Gesicht.
Stanley war auf Murray und John angewiesen; mit seinen Fingern in den Gipshandschuhen kam er nicht allzu weit. Daher mussten ihm Murray, John oder eine der Krankenschwestern das Wasserglas an die Lippen führen, ihm einen frischen Schlafanzug anziehen, das Radio ein- und ausschalten und pieksende Matratzenhaare von seinen Beinen entfernen. Die Beamten bemerkten, dass Stanley mies aufgelegt war. Während der letzten drei Schichtwechsel hatte er sie nicht ein einziges Mal gebeten, ihm den Rücken zu kratzen. Sein Bizeps ging zurück. Die Muskelstränge an seinem Nacken hatten sich schlafen gelegt. Esther ging ihm unter die Haut.
Es war keine jugendliche Schwärmerei, die Leidenschaft eines Jungen aus Hongkong für ein weißhäutiges Mädchen aus Brooklyn, eine gewöhnliche »Rundäugige«. Mit hellen Farben hatte es nichts zu tun. Esther war dunkler als er gewesen. Sie hatte Schweiß unter den Achseln, von den Schultern zu den Ellbogen lief ihr eine üppige Nässe, die Stanley häufig zum Niesen gebracht hatte. Ihr krauses Haar reizte ihn nicht. Ihre religiöse Erziehung war es auch nicht – vor Esther Rose hatte er noch nie etwas von Jeschiwen gehört. Es war ein Wirrwarr aus den verschiedensten Kleinigkeiten: das heisere Krächzen in ihrer Stimme, die Art, wie sie ihre Ärmel hochkrempelte, ihre Fähigkeit, sich mit antiken und mittelalterlichen Philosophien auseinanderzusetzen – Esther kannte die Lehren von fünf oder sechs arabischen Priestern –, die Nippel unter ihrem einen dunklen Hemd, die Form ihrer Zehen, die aufgescheuerten Stellen auf ihren Armen und Knien, weil sie Wände mit Kreide bemalte, die Kreidezeichnungen selbst, Unmengen von Farbe, die verbitterte Münder veranschaulichte, lange Zungen und harte, angeschwollene Genitalien, die ohne Erbarmen wuchsen und sich wanden. Die Schrecken, die Esther an Decken und Wänden fabrizierte, taten Stanley gut; es war das Gekreisch, das er in seinem eigenen Kopf spürte.
Mit einer Tablette, die ihm die Krankenschwestern in den Mund gesteckt hatten, einem gelben Ding, das sich demnächst unter seiner Zunge auflösen würde, träumte er von Esther, als er einen Zauberer den Raum betreten sah, einen Hexenmeister mit knochigen Ohren im Mantel eines Krankenpflegers, der ihm eine Nummer zu klein war; er schob einen Rollstuhl. Der Zauberer steuerte um die drei farbigen Schuhe der Kriminalbeamten herum auf ihn zu. »Entschuldigen Sie«, sagte er. Die angespannten Wangen des Krankenpflegers waren Murray egal, er hatte nicht die Absicht, sich den Regeln des Krankenhauses zu widersetzen.
Der Zauberer lächelte. »Therapieraum. Helfen Sie mir, ihn von der Matratze hochzuheben.«
John hob den Lattenrost von Stanleys Krankenhausbett, und die beiden Kriminalbeamten setzten ihn mit einem sachten Schubs in den Rollstuhl. John knurrte den Pfleger an. »Seien Sie bloß vorsichtig mit Stan. Wir wollen ihn lebendig wiederhaben.« Dann kam sein angeborener Argwohn raus. »Hör mal, Süßer, in welchem Stockwerk ist eigentlich dieser Therapieraum?«
Der Zauberer schob den Stuhl aus dem Zimmer. »Unter dem Dach. Gleich neben dem Solarium.«
Stanley kicherte, ehe sie die Tür erreicht hatten. »Rupert,
Weitere Kostenlose Bücher