Das Isaac-Quartett
Stanley Chin. Marilyn kam nicht rein; in der Häftlingsstation wurden keine Gäste der Gefängniswärter, der Krankenschwestern oder der Bullen empfangen.
Leo konnte die Frostigkeit zwischen Vater und Tochter spüren. Er rückte näher zu Marilyn. Marilyn war seine Pufferzone. Er erinnerte sich an Isaacs Versprechen, ihm die Lunge rauszureißen, wenn er sich weigerte, sein Versteck im Gefängnis aufzugeben. Leo hatte keinerlei Vorkehrungen getroffen, die Crosby Street zu verlassen. Das Klima behagte ihm. Er konnte rauchen, Karten spielen und hinausschlüpfen, um seine Mutter zu besuchen. Dicht neben Marilyn erwartete er, dass Isaacs Zorn auf sie niederbrechen würde. Er hatte den Chef verkannt. Isaac war zu sehr mit Rupert, Esther und den Guzmanns beschäftigt, um sich mit seinen eigenen simplen Drohungen zu befassen. Leos Sitzfleisch in der Crosby Street war ihm im Moment egal. Mit tröpfelnden Schläuchen vor seinen Augen sagte er zerstreut zu Alfred Abdullah: »Wie geht’s auf der Pacific Street?«
Abdullah starrte alarmiert an Isaac vorbei: Sophies Kopf tauchte aus den Kissen auf. »Das Baby«, sagte sie. »Bringt mir das Baby.« Im Schlaf hatte sie das Aussehen einer Frau, deren Haut in Flammen stand, ihr Gesicht von blauem Salz und der Blutzufuhr verdunkelt. Wenn sie aus dem Koma erwachte, änderte sich ihre Gesichtsfarbe. Sie war bleich, mausgrau in ihren klaren Momenten. Die Glasröhren hingen an ihrem Arm und verhinderten den Weiterfluss von Siphon zu Siphon. »Bringt mir das Baby«, sagte sie.
Isaac hatte beide Fäuste vor der Brust geballt. Abdullah griff sich an die Kehle. Leo bedeckte seine Augen. Nur Marilyn hatte genügend Reaktion, die Schläuche zu packen und ihr Schlingern einzugrenzen. »Herr im Himmel«, sagte sie. »Seht ihr es denn nicht? Mama ruft nach Leo.«
Leo sprang aus seinem Stuhl auf. Seine Schulter landete im Bett. Sophie streichelte zärtlich seine kahlen Stellen. Leo weinte mit den Fingern seiner Mutter auf dem Kopf. »Psst«, sagte sie. »Wo ist der Philister?«
Abdullah kauerte sich hinter Leo. Sophie wies ihn zurück. »Nicht du«, sagte sie. »Wo ist der Philister?«
»Mama«, sagte Isaac; seine Knie sackten unter ihm zusammen. »Hier bin ich.«
»Hast du den Kikeriki getroffen?«
Isaac zuckte die Schultern; seine Mutter hatte ihn außer Gefecht gesetzt. Er war ihr nicht gewachsen.
»Den Kikeriki«, wiederholte Sophie beharrlich. »In Paris, Frankreich.«
Isaacs Zunge belegte sich. Leo musste gepetzt haben; Mama konnte nicht von seinem Rendezvous mit Joel in den Pariser Slums gewusst haben, es sei denn, die Flüssigkeiten, die in sie tröpfelten, nährten auch ihre Intuition.
Sophie hatte genug von kahlen Stellen. Sie griff nach Abdullahs Hand. Leo rührte sich nicht von der Stelle; er ließ sein Ohr auf Sophies Krankenhaushemd liegen. Sophie lächelte.
»Verdienst du gut, Alfred?«
Abdullah bejahte.
»Gut so. Ich lasse nämlich keinen Armen ran.«
Abdullah war ihr zu ergeben, um seine Verlegenheit auszudrücken. Leo zog sein Ohr vom Bett. »Mama deliriert wieder«, flüsterte er in Marilyns Schulter.
»Isaac, vögelst du in letzter Zeit noch?«
»Wer hat denn dazu noch Zeit, Mama.«
Leo krallte sich in Isaacs Ärmel. »Gib ihr keine Antwort, Isaac … Sie hat ihren Verstand nicht mehr beisammen. Weißt du, was es heißt, dreißig Jahre ohne Ehemann zu leben?«
Sophie fiel in die Kissen zurück. Ihr Mund zuckte einmal. Eine gewisse Verwirrung trat in ihre Augen. Sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen, rülpste und spie aus. Sie hielt Abdullahs Hand noch fest, als sie in Tiefschlaf abstürzte. Leo schlich sich aus dem Raum.
Isaac, allein zwischen Marilyn und Abdullah, wurde verlegen. Sophies Verlangen nach Liebhabern ließ sich nicht herunterspielen, ob Koma oder nicht. Selbst durch Alterszucker war die Sexualität seiner Mutter nicht kleinzukriegen. Ihre Haut nahm wieder die dunkle Färbung an. Isaac war mit seiner Tochter allein. Er hörte erbitterte Schreie aus dem Korridor.
Leo rang mit seiner Exfrau. Selma, dieses Weibsstück, das einfach nicht zu fassen war, lag unter seinen Knien und kriegte kaum mehr Luft. Davey und Michael kletterten auf dem Rücken ihres Vaters herum. »Ich werde ihr ein- für allemal den Rest geben«, stieß Leo mit einer Heftigkeit in der Stimme hervor, die Isaac an seinem Bruder fremd war. Leo nahm Michaels Fingernägel in seinem Fleisch nicht zur Kenntnis. Davey saß auf seinem Nacken. Leos Knöchel quetschten Selmas Luftröhre.
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