Das Isaac-Quartett
Hals waren keine Kratzer. Das »Brecheisen« war Jorge Guzmanns Ellbogen. Er verließ das Tivoli und Brodsky lief gehetzt hinter ihm her. »Lass mich nicht allein, Isaac.«
»Wieso nicht? Ich brauche dich erst morgen wieder.«
Der Chauffeur schlurfte auf den Bürgersteig. »Was soll ich denn machen, Isaac?«
»Führ Selbstgespräche. Setz dich ins Auto. Lies einen Porno.«
Isaac trottete zur Tenth Avenue. Er suchte Zorros Großonkel Tomas, den Verkäufer von Kleidung zweiter und dritter Wahl. Jetzt drang der Schnee durch Isaacs Schuhe; die Spitzen wurden nass. Die Kellertür war dicht. Isaac hatte heute nicht den Nerv, an Schlössern rumzufummeln. Er drückte die Tür mit der Schulter ein. Zuckerdorff war nicht allein. Bei ihm saß ein puerto-ricanischer Pistolero aus der Boston Road. Isaac hob ihn an seinen buschigen Koteletten hoch und trug ihn durch den Keller, bis eine rostige Pistole und eine Rolle Vierteldollarstücke in einem Taschentuch aus dem Hemd des Killers purzelten. Er stand Todesängste aus. Dieser bekloppte Policía riss ihm fast den Skalp ab. Isaac setzte ihn schwungvoll vor Zuckerdorffs Füßen runter. »Du hast sie wohl nicht alle, du dumme Drecksau!« Isaac kickte ihn hinter Zuckerdorffs Stuhl.
Der Kleiderhändler legte den Kopf auf den Schoß und Isaac blieb nichts anderes übrig, als blaue Adern auf einem ziselierten Schädel anzustarren. Er ist älter als mein Vater, dachte Isaac. Der Chef verbarg sein Mitgefühl vor Zuckerdorff. »Onkel Tomas, deine Großneffen haben Greueltaten in meinem Revier begangen. Sie ermorden Unschuldige. Wenn Zorro jemandem ans Genick wollte, hätte er sich an mich wenden sollen.«
Isaac konnte seinem Zorn nicht an blauen Adern Luft machen. Er ging auf Zuckerdorffs Waren los, trat mit seinen Schneematsch-Schuhen gegen die Kisten. Um Isaac herum zerbröselten Kartons; er begrub den Flintenmann unter einem Stapel zermalmter Deckel. Zuckerdorff rührte sich nicht. Isaac stieß sich die Zehen an. Er fand keine Mörder in den Kartons. Der Schuldige war er, Isaac. Er hatte Wadsworth den Guzmanns zum Fraß vorgeworfen. Um seiner persönlichen Fehde mit Zorro willen hatte er seinen Spitzel bloßgestellt. Er hatte Wadsworth gezwungen, mit einer Information rauszurücken, die sich nur gegen ihn selbst richten konnte. Wie ein zynischer Bulle hatte er Wadsworth zum Wegwerfartikel gemacht. Der Chef hatte genug von den Kartons. Er trat sich den Weg aus Zuckerdorffs Vorführraum frei.
Ida fackelte nicht lange mit ihren besten Kunden. Sie bekamen Paprika in ihren Hüttenkäse und fertig. Ihre Gedanken waren nicht bei Blintzen und Kleingeld. Sie vergaß die Sellerieknollen zu schälen. Der Spinat blutete auf das Tablett mit dem Eiersalat. Die Dollarscheine, die in der Kasse steckten, wurden von ihren Paprikadaumen orange. Derart schlampigen Service war man im koscheren Vegetarierrestaurant nicht gewohnt. Was konnten Idas Bosse tun? Ohne dieses zähe Mädchen waren sie verloren.
Ida Stutz sah Schnee, keine Pissbrühe, nicht das fiese Tröpfeln Manhattans, sondern dunklen, russischen Schnee von der Sorte, die Laternenpfähle verschlucken und Horden wilder Hunde ersticken konnte. Die Professoren der Ludlow Street mussten in ihre Erbsensuppe pusten. Niemand konnte Ida aus dem Fenster holen. Das Mädchen klebte an der Scheibe. Lasst sie träumen, rieten die Professoren. Irgendwann tun ihr die Waden weh. Dann haben wir unsere Ida wieder. Sie lächelten, als Ida zusammenzuckte und sich ins Fleisch auf ihren Hüften krallte. Sie glaubten, sie kehre zu ihnen zurück. Dem war nicht so. Ida hatte ein Gesicht auf der anderen Seite der Scheibe gesehen, das Gesicht eines Wilden aus der Oberstadt, verbissene, raue Lippen und ledrige Wangen, ein Kinn, das sich aus einem Stiernacken herausklappte, Schweinsäuglein und die eingewachsenen Ohren eines Kürbis. Ida rannte aus dem Restaurant.
»Hast du was in der Stadt verloren, Isaac? Vielleicht dein Leben?«
Sie hätte nicht geglaubt, dass ein Mann schwitzen konnte, wenn Schnee in der Luft lag. Der Chef verbrannte. Ida sah ihn kritisch an. Armer Inspektor, seine Motoren machten Überstunden. »Wohin gehst du, Isaac? So kommst du nicht zur Rivington Street.«
Machen starke Motoren einen taub? Der Chef marschierte auf die Broome Street zu. »In deine Wohnung«, murmelte er mit seinen großen Zähnen.
»Wie das, Isaac?«
»Marilyn hat Besuch.«
Ida fiel hinter ihm in Trab. Sie war nicht zerbrechlich. Auch sie besaß einen
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