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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Geschmack, was Mode anging, ließ sich durch einen Schneesturm nicht beeinflussen. Philip hatte sich angezogen wie zum Kirchgang, schottisches Tuch und enge Handschuhe. Immer der feine Einsiedler, urteilte Mordecai. Im Lauf der letzten zwanzig Jahre war ihre Freundschaft ranzig geworden. Sie hatten sich voneinander entfernt, als Isaac sie mit seinem Bärencharme nicht mehr zusammenkittete.
    »Ich habe dich nicht erwartet, Philip. Sonst hätte ich etwas vorbereitet. Aber bei einem solchen Sturm kann man nicht gut einkaufen gehen. Ich habe gehört, der Supermarkt sei leer gekauft. Die Leute horten nämlich. Sie wollen den Nachschub sichern. Das kann man ihnen nicht vorwerfen. Wenn man alt ist, erinnert man sich an die schweren Zeiten. Und wenn man jung ist, hat man eine brutale Fantasie.«
    »Mach dir keine Sorgen, Mordecai. Ich bin nicht gekommen, um dich deines letzten eingelegten Herings zu berauben. Erzähl mir von Honey. Hat Isaac sie schon gefunden?«
    »Isaac ist ein wichtiger Mann. Warum sollte er mir zwei Mal in einem Monat helfen? Er trinkt Tee mit Kommissaren. Er fährt in Limousinen. Er kennt die besten Opernstars.«
    »Dann ist er nicht vollkommen«, sagte Philip. »Er kann doch trotzdem Honey für dich suchen.«
    »Klar, halt ihm nur die Stange. Er hätte Rupert retten können, doch er hat es nicht getan. Ich habe ihn darum gebeten. ›Geh zu Philip, Isaac. Philip braucht dich.‹ Hören große Tiere zu? Er hat ein spezielles Schmalz in den Ohren, das ihn alten Freunden gegenüber taub macht.«
    »Nur so kann ein Polizist überleben. Er sperrt bestimmte Geräusche aus. Erwartest du von ihm, dass er sich persönlich um jeden streunenden Jungen in ganz New York kümmert?«
    Mordecai sah finster auf die edle schottische Wolle. »Und wie überlebst du? Das interessiert mich, Philip. Du sitzt den ganzen Tag zu Hause. Von so vielen Tagträumen kann man Pickel am Arsch bekommen. Es ist auch nicht gerade Honiglecken, in einem Postamt Briefe zu sortieren, aber ich bin beschäftigt.«
    »Ich habe keine Tagträume, Mordecai. Ich sehe Soap Operas, schmökere in Ruperts Bibliothek, spiele Handicap-Schach gegen mich selbst, poliere meine Schuhe. Morgens ist mir niemals fad.« Mordecai verachtete die Gespräche über Handicap-Schach. Philips Exzentrik war ihm heute unerträglich. Doch er lächelte über den Witz, der ihm gerade in den Kopf kam. »Wir sind alle Dummköpfe«, kicherte er heraus. »Wir hätten eine kleine Familie aus Shapiros und Weils zusammenbringen können. Was ist gegen arrangierte Hochzeiten einzuwenden? Rupert und Honey. Dann wären sie jetzt nicht so weit weg.«
    »Wie kannst du nur Fünfzehnjährige mit Ehegedanken plagen?«
    »Heuchler, hat dein Junge vielleicht nicht mit diesem Jeschiwe-Mädchen geschlafen? Es ist doch bekannt, dass die Sephardim ein bisschen verrückt sind. Sie haben mehr von den Arabern als von den Juden. Hättest du so was gern in deiner Familie?«
    Mordecais Wortschwall stand im leeren Raum. Philip war wieder in den Sturm hinausgegangen. »Scheißkerl«, sagte Mordecai. »Er ist zu aristokratisch, um sich mit mir zu streiten.« Doch Mordecai fand nicht viel Trost im Schnaps. Fleischig lag die Gurke in seinem Mund. Ohne sein Mädchen würde er nicht über den Winter kommen. Soll sie doch eine Hure sein, argumentierte er matt und starrte auf die fehlenden Knöpfe an seinem Hausmantel. Huren können mit Nadel und Faden umgehen, Huren können nähen. Mordecai war überschwänglich. Wenn genügend viele Zuhälter in dem Sturm starben, würde Honey wohl heimkommen müssen.
     
    Cowboy Rosenblatt konnte sich nicht in die Rockaways zurückziehen; dort führte er einen gemeinsamen Haushalt mit einer polnischen Witwe, die eine Kette von Eisenwarenhandlungen besaß. Aus Manhattan führte kein Weg heraus. Scharen von abgestellten Autos blockierten alle Brücken, und die U-Bahn-Linien nach Brooklyn hatten sich hoffnungslos verheddert; über die Flatbush Avenue war nicht hinauszukommen.
    Rosenblatt hatte Vorkehrungen für den Sturm getroffen: Er trug seine Heizunterwäsche. Doch von dem Wind, der durch seine Bürofluchten heulte, seine zahlreichen Schubladen klappern ließ, seinen großen Lampenvorrat schüttelte, Bleistifte aus Aktenschränken wirbelte, Papierkörbe umkippte und seine geheimen Akten aufschlug, konnte sie ihn nicht erlösen. Gegen acht Uhr abends fingen die Lampen an zu flackern und in Cowboys Büro wurde es dunkel. Stöhnend tastete er sich einen Weg zum Flur und rief

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