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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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und einige Gläser zweigten sie für die Lebensmittelkonserven im Ararat ab, den Pilar hinter einem beweglichen Betonstein in der Buenavista-Kellerwand eingebaut hatte. Oder sie widmeten sich den Mohnpflanzen und ernteten den zähen Saft aus ihren Hülsen oder werkelten in den Pilzbeeten im Buenavista-Keller vor sich hin oder köchelten Elixiere und Arzneien und flüssige Rosen-Honig-Hautlotion für den Verkauf beim Baum-des-Lebens-Naturalienmarkt. Und so verging die Zeit. Toby zählte irgendwann nicht mehr mit. Die Zeit sei jedenfalls nicht etwas, das vergeht, sagte Pilar: Sie sei ein Meer, auf dem man schwimmt.
    Abends atmete Toby ihren eigenen Duft ein. Ihr neues Ich. Ihre Haut roch nach Honig und Salz. Und Erde.
     
    20.
     
    Immer wieder stießen neue Leute zu den Gärtnern. Einige waren echte Bekehrte, andere dagegen blieben nicht lange. Sie waren eine Weile da, hüllten sich in die gleichen sackartigen Kleider wie alle anderen, übernahmen die niedersten Handlangerarbeiten und, wenn es Frauen waren, weinten sie von Zeit zu Zeit.
    Dann waren sie wieder weg. Es waren Schattenmenschen, und Adam Eins rückte sie im Schatten von einer Stelle zur anderen. So wie er auch Toby herumgerückt hatte.
    Dies war eine Frage der Spekulation: Toby hatte relativ schnell erkannt, dass persönliche Fragen unter den Gärtnern verpönt waren. Woher man gekommen war, was man vorher gemacht hatte − alles das, wurde signalisiert, war irrelevant. Was zählte, war das Hier und Jetzt. Über andere nur zu sagen, was man über sich selbst hören möchte. Also nichts.
    Vieles hätte Toby nach wie vor gern gewusst. Zum Beispiel, ob Nuala mit jemandem schlief, und wenn nicht, ob das der Grund für ihr penetrantes Flirten war? Woher hatte die Hebamme Marushka ihr Wissen? Was genau hatte Adam Eins gemacht, bevor er zu den Gärtnern kam? Hatte es je eine Eva Eins gegeben oder gar eine Frau Adam Eins oder Adam-Eins-Kinder? Doch wenn sie sich diesem Terrain zu sehr näherte, erntete Toby ein Lächeln, man wechselte das Thema und gab ihr zu verstehen, dass sie sich hüten möge vor der Erbsünde des Zuvielwissenwollens oder vor zu viel Macht. Schließlich hinge beides miteinander zusammen − nicht wahr, liebe Toby?
    Dann war da noch Zeb. Adam Sieben. Toby hielt ihn genauso wenig für einen echten Gärtner wie sich selbst. Während ihrer GeheimBurger-Zeit hatte sie viele Männer von vergleichbarer Statur und ähnlichem Haartyp erlebt, und sie hätte wetten können, dass er etwas im Schilde führte; er hatte diesen wachsamen Blick. Was hatte ein Mann wie er nur auf dem Felsen Eden zu suchen? Zeb kam und ging; manchmal war er tagelang verschwunden, und wenn er wieder auftauchte, dann oftmals in Plebsler-Klamotten: Solarbike-Flederkluft, Platzwart-Overall oder Türsteher-Schwarz. Erst hatte sie den Verdacht, dass er zu Blancos Leuten gehöre und hier sei, um sie auszuspionieren, aber nein, das war es nicht. Bei den Kindern hieß er Mad Adam, wobei er keineswegs verrückt wirkte. Eher eine Spur zu vernünftig, um sich mit diesem Haufen herziger, aber wahnhafter Exzentriker herumzutreiben. Und was verband ihn mit Lucerne? Lucerne war der Inbegriff der verwöhnten Konzernmitarbeitersgattin: ein abgebrochener Fingernagel, und der Tag war gelaufen. Eine wenig plausible Partnerwahl für einen Mann wie Zeb − ein schweres Geschoss, wie man ihn in Tobys Jugend genannt hätte, als Schusswaffen noch verbreitet waren.
    Aber vielleicht ging es um Sex, dachte Toby. Fata Morgana des Fleisches, hormongesteuerte Obsession. So etwas sollte ja vorkommen. Sie konnte sich an eine Zeit erinnern, da sie selbst in eine solche Geschichte hätte verwickelt sein können, wäre da der richtige Mann gewesen, aber je länger sie bei den Gärtnern war, desto mehr rückte diese Zeit in den Hintergrund. Sex hatte sie in letzter Zeit nicht gehabt, er fehlte ihr aber auch nicht: Als sie damals in Sewage Lagoon abgetaucht war, hatte sie mehr als genug Sex gehabt, und zwar keinen von der Art, wie man ihn sich wünschen würde. Blanco los zu sein war viel wert: Sie konnte von Glück reden, dass sie nicht zu Mus gefickt, zu Brei geprügelt und auf einem leeren Grundstück ausgekippt worden war. Einen einzigen sexuellen Vorfall hatte es allerdings gegeben. Als sie im ehemaligen Partyraum unter dem Dachgarten eine Stunde auf einem der Ewigen Laufbänder trainierte, war der alte Muskel-Mugi über sie hergefallen. Er hatte sie vom Laufband gezerrt, sie zu Boden gedrückt, sich mit vollem

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