Das Jahr der Woelfe
das Licht, Junge«, befahl er. Die Lampe schwankte tiefer in den Keller.
»Sie sind heute erst aufgebrochen«, vermutete Vater und betastete die platt gelegenen Strohschütten in der Ecke.
Unter dem Kellerfenster stand ein kleiner, zerbeulter Eisenherd. Das Ofenrohr führte zum Fenster hinaus. An der Mauer lehnte ein Fahrrad.
»Lauf und hole die anderen.«
Konrad lief die Treppe hinauf: »Eintreten, bitte. Ich darf den Herrschaften leuchten.«
»Na, dir scheint es ja gut zu gefallen?« Die Mutter stieg vorsichtig hinab. Auf ihrem Arm schlief Franz fest und ruhig.
»Sind da keine Mäuse?«, lachte Hedwig und schaute auf Albert.
»Lass den Unsinn«, schimpfte der. »Und außerdem habe ich keine Angst vor Mäusen.« Er hielt seine Nikolai vor die Brust gepresst.
Sie begannen sich für die Nacht einzurichten. Vater entfachte Feuer im Herd. Bald erglühte die Platte dunkelrot. Mutter bettete Franz auf die Strohschütte. Konrad spannte Lotter aus und suchte einen geschützten Platz für ihn in der leer gebrannten Stube. Im Keller taute er Schnee. Das Pferd soff in langen Zügen. Erst als der Eimer völlig leer war, schnaubte es und steckte seine Nüstern in den Hafer. Die gelben Zähne mahlten die Körner. Konrad striegelte und bürstete Lotters glattes, braunes Fell, bis es matt erglänzte. Plötzlich fuhr er zusammen. Vom Rand des Wäldchens her erscholl ein röhrendes, heiseres Brüllen.
Eine Kuh! Sie ist sicher lange nicht gemolken. Die Milch sticht sie, dachte er. Mit dem Milcheimer in der Hand rannte er dem Wald zu. Schon hatte er die ersten Stämme erreicht, da brüllte die Kuh wieder, lang und in großer Qual. Sie hielt den Kopf weit vorgestreckt. Konrad trat zu ihr. Ihre runden, schwarzen Augen starrten ihn an. Er tätschelte ihr den Hals und kraulte sie hinter den Ohren. Dann beugte er sich nieder. Das Euter war prall wie ein aufgeblasener Kinderballon. Er berührte es vorsichtig. Die Kuh zuckte zusammen und zitterte. Doch blieb sie geduldig stehen. Er drückte sanft die harten Zitzen. Ein Milchstrahl schoss in seine Hände, netzte ihre Flächen und machte sie weich und geschmeidig. Schäumend stieg die Milch im Eimer bis an den Rand. Dann stellte er ihn auf die Seite. Konrad molk das Euter ganz leer. Warme Strahlen spritzten in den Schnee und schmolzen schwarze Löcher in die verharschte Decke. Dann fasste er die Kuh bei ihrem kurzen Halsstrick. Willig ließ sie sich zum Gehöft führen und an einen Baum binden.
»Wo bleibst du, Konrad?«, schallte es von der Kellertreppe her.
»Warte nur, ich komme schon. Rate, was ich euch mitbringe!«
Es war schon dunkel geworden und Hedwig erkannte nicht, was ihr Bruder trug.
»Milch«, flüsterte er.
»Was bringt der Konrad?«, rief Albert.
»Milch hat er, einen ganzen Eimer Milch.«
Mutter wärmte die Milch auf dem Herd, rührte Haferflocken darunter und ein wenig Honig. Mit dem Messer ritzte sie in ein braunes Brot das kleine Kreuz und schnitt für jeden eine dicke Scheibe ab.
Sie waren so satt und müde geworden, dass die Kinder sich nicht einmal stritten, wer den Topf auslecken durfte.
»Wo hast du die Kuh?«
»Ich habe sie an den Baum gebunden.«
»Führe sie in eine Ecke und füttere sie mit Hafer. Morgen wollen wir sie wieder melken.«
Konrad tat, was der Vater befahl. Als er wieder in den Keller zurückkehren wollte, kamen ihm die Eltern entgegen. Mutter trug die Lampe. In ihrem Schein erkannte Konrad das Fahrrad auf Vaters Schulter.
»Wohin willst du, Vater?«, fragte er. Doch er bekam keine Antwort. Besorgt schaute er der Mutter ins Gesicht. Die blickte mit zusammengepressten Lippen ihren Mann an. Die Mundwinkel zitterten ein wenig.
»Ich muss fahren, Agnes, ich muss. Das Vieh muss versorgt werden und vielleicht sind die Russen doch zurückgeschlagen worden.«
Die Mutter antwortete nicht.
»Und wo mögen Elisabeth und Hubertus bleiben?«
Er fasste Mutters Schulter. »Noch einmal will ich das Haus sehen, Agnes, das ich mit meinen Händen erbaute, noch ein einziges Mal. Wer weiß, wie es aussieht. Vielleicht können wir wieder zurück.«
Da begriff Konrad. »Vater«, bat er mit leiser Stimme, »bleib bei uns. Ich habe Angst.«
»Geh du zu Hedwig, Junge.«
Konrad tastete sich durch die Finsternis. Hedwig hatte sich die Decke über den Kopf gezogen. Albert saß am Herd.
Er lässt uns allein, dachte Konrad. Unsicherheit und ein Gefühl des Schmerzes überfielen ihn. Es war wie damals, als sich beim Hüten eine spitzer Dorn tief in seine
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