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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Danzig aus sei es möglich, mit dem Schiff zu fliehen.«
    »So, das meinte die Frau. Aber sie hat wohl nicht gewusst, dass vorgestern das ganze Büro mit dem letzten Schiff selbst geflohen ist, wie?«
    »Mit dem letzten Schiff?«
    »Genau das, Mann. Klingt hässlich, wie?«
    »Das heißt also …«
    »Jawohl. Das heißt, dass ich jetzt auch Schluss mache mit dem ganzen Plunder.«
    »Wir fahren schon sechsunddreißig Stunden ohne Schlaf«, sagte Vater. Seine Stimme klang mutlos, niedergeschlagen. »Vielleicht in Zoppot?«
    »Ziehen Sie nach Zoppot. Nur zwanzig Kilometer. Vielleicht fährt dort ein Schiff ab.«
    »Wir können nicht noch eine Nacht fahren. Meiner Frau geht es nicht gut. Wir bekommen bald ein Kindchen.«
    »Nun, vielleicht morgen. Fahren Sie bis zum nächsten Quartier. Es liegt an der Straße, die nach Zoppot führt.«
    »Danke«, sagte Vater, stülpte seine Mütze auf und wandte sich zum Ausgang.
    Die Schule lag am Stadtrand. Es gab eine heiße, dicke Gemüsesuppe mit ein paar Brocken Fleisch darin. Eine Schwester schöpfte die Geschirre randvoll. Selbst für Lotter fand sich ein warmer Platz.
    »Zoppot«, flüsterte Vater und zeigte Mutter das Städtchen auf der Karte. »Wie lange werden wir fahren, Johannes?«
    Er dachte, dass es in alten Tagen wohl kaum vier Stunden gedauert hätte.
    »Ich weiß es nicht, Agnes.«
    »Werden wir ein Schiff bekommen, Johannes?«
    »Der Mann hat es gesagt, Agnes.«
    Doch keiner glaubte so recht an Zoppot und das Schiff. Ihre Zweifel trogen sie nicht. Als sie am nächsten Abend in Zoppot ankamen, war das letzte Schiff längst weg. Es gab nicht einmal ein Büro mit einem Angestellten. Nichts. Vater entschloss sich, für die Nacht am Rand der Stadt zu bleiben. Mutter war erschöpft und selbst Lotter ließ seinen Kopf von Stockung zu Stockung tiefer sinken. Sie fanden einen Stall und waren die einzigen Nachtgäste dort.
    Nach Gdingen wälzte sich der Treck. Je näher sie der Stadt kamen, desto wilder wurden die Gerüchte. Viele hofften auf ein Schiff und waren bereit, Pferd und Gut und Wagen zurückzulassen für einen Platz auf dem Oberdeck oder auch in den Lagerräumen. Es hieß, die Weichsel sei an vielen Stellen von den Russen überschritten worden. Sie rumpelten schon fast eine Stunde über eine breit gepflasterte Stadtstraße. Die war voll gestopft von Pferden und Autos, Fußgängern und Handkarren. Es gab Geschrei und Geschimpfe. Doch davon drehte sich kein Rad schneller. Vater bog in eine Seitenstraße ein und fragte ein halbwüchsiges Mädchen nach dem Weg zum Hafen.
    »Lassen Sie den Wagen am besten hier stehen und gehen Sie zu Fuß«, riet das Mädchen. »Es sind nur zehn Minuten Weg. Die ›Wilhelm Gustloff‹ liegt noch am Kai.«
    »Ein Schiff?«, rief Hedwig.
    »Ein ganz großes Schiff«, bestätigte das Kind. »Aber gehen Sie erst zum Büro. Dort gibt es die Karten. Ohne Karten darf niemand an Bord.«
    Vater und Konrad eilten dem Hafen zu. Das Schiff schien unter Dampf zu stehen. Hoch ragte seine Bordwand über den Kai. Kopf an Kopf drängten sich die Menschen an Deck. Über das Fallreep jedoch lief niemand mehr.
    Eine Menschenmenge hatte sich vor einem Haus am Kai versammelt. Vater nahm an, dass das Büro dort sei, und schritt am Schiff vorbei auf das Haus zu. Erregung hatte die Leute gepackt. Obwohl nur einige miteinander flüsterten, spürte Konrad sogleich, wie aufgeregt sie waren. Er sah es an ihren hastigen Bewegungen und den wütenden Blicken, die sie auf die verschlossene Tür richteten.
    »Warum darf niemand hinein?«, fragte Vater.
    »Sie sagen, das Schiff sei schon überfüllt. Es gibt keine Karten mehr«, antwortete ein alter Mann.
    »Keine Karten mehr?«, rief Konrad erschrocken.
    »Und warum steht ihr hier?«
    »Das Schiff muss zurückkommen und uns holen.«
    »Dann wird es zu spät sein«, ereiferte sich eine große hagere Frau. »Wir wollen jetzt mit. Jetzt! Die Stadt hat schon den Räumungsbefehl!«
    »Jawohl«, rief ein Mann, der sich auf Krücken bewegte, »jawohl. Wir wollen jetzt mit. Wer weiß, ob das Schiff wiederkommt.« Vater lief an dem Haus entlang und blickte durch die Scheiben in alle Räume.
    »Was machen die da drin?« Konrad stellte sich auf die Zehen und sah, wie ein Mann in der schwarzen Uniform der SS eine Akte in den Ofen stopfte.
    »Sie packen und verbrennen«, sagte Vater bitter. »Es geht genau wie in Danzig. Das Büro wird verlegt. Sie fliehen selbst mit dem letzten Schiff.«
    Konrad lief zum nächsten Fenster und warf

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