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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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denn aus?«
    »Er ist blond und reicht mir bis zur Nase.«
    »Es gibt viele blonde Jungen in der Stadt.«
    »Er trug einen Eimer.«
    »Eimer? Nee, habe ich nicht gesehen.«
    Eilig trippelte ein dünner Herr daher. Er trug eine Tasche unter dem Arm.
    »Haben Sie vielleicht …«
    »Ich habe selber nichts.«
    »Ich suche doch …«
    »Lass mich, Junge. Ich habe es eilig.« Im Vorbeigehen murmelte er etwas, das wie »lästiges Pack« klang.
    Konrad schwitzte. Die nächste Straße lag menschenleer. Nirgendwo eine Spur von Albert. Er hetzte weiter und bog in die Querstraße ein.
    »Haben Sie nicht …«
    Aber niemand war Albert begegnet. Konrad musste umkehren. Er war am Rand des Ortes angelangt. Die Straße führte weit ins weiße Land.
    Da! Wer kauerte dort auf der Schwelle des letzten Hauses?
    »Albert!«
    Der Junge sprang auf, starrte ungläubig Konrad an, kam ihm mit kleinen, unsicheren Schritten entgegen und klammerte sich schluchzend an ihn.
    »Ich habe mich verlaufen«, brachte er schließlich hervor.
    Konrad trug den Eimer. Auf dem Markt warteten alle. Hedwig stieß einen Schrei aus, als sie die beiden erblickten. Albert ging zwischen Vater und Mutter. Vater hatte ihm den Arm um die Schultern gelegt. Die Suppe war längst kalt und steif geworden, doch Mutter wärmte sie auf dem Kanonenofen.
    »Es ist, als ob mir Albert zum zweiten Mal geboren wäre«, sagte sie zu Vater.

21
    Sie waren spät dran, als sie am nächsten Morgen anschirrten und losfuhren. Mutter hatte Kaffee in zwei Flaschen gefüllt und in Tücher gewickelt. Blass stand die Sonne am Himmel. Der Treck war dicht. Lotter kam nicht recht vorwärts. Sie mussten schließlich froh sein, wenn es nur im Schritt weiterging. Ständig begleitete sie der Geschützdonner. Es war gute Nahrung für Gerüchte, die mit dem Schneewind von Wagen zu Wagen sprangen.
    »Marienburg ist gefallen«, flüsterte es dort.
    »Die Russen beschießen Danzig«, zischelte es hier.
    »Abgeschnitten!«, tuschelte es immer. »Abgeschnitten.«
    »Sie haben Elbing besetzt.«
    Doch Vater war zuversichtlich. »Wir werden in Danzig ein Schiff bekommen. Das schwimmt bis Kiel.«
    Seine Hoffnung steckte die Kinder an, und Mutter richtete sich an ihr auf, obwohl sie nie von der möglichen Seereise sprach. Als die Bäume in der Nachmittagssonne Schatten warfen, stand der Treck wieder. Noch bevor sie den Fluss erreicht hatten, war es fünf Uhr, und sie mussten sich nach einem Quartier umsehen. In einem überfüllten Tanzsaal eines Gasthauses fand sich ein Plätzchen. Auf Strohschütten lagen die Flüchtlinge. Sie waren tagelang nicht aus den Kleidern gekommen.
    »Bitte, Mutter, kämm mich«, bat Hedwig. »Mir juckt der Kopf.«
    Der Mutter ging es nicht gut. Vom Schaukeln und Rucken des Wagens schmerzte ihr der Rücken. Vater ängstigte sich um sie. Schonen sollte sie sich. Aber sie gönnte sich keine Ruhe. Sie griff zum Kamm. Hedwigs Haar war stumpf geworden. Nur schwer brachte sie den Kamm hindurch. Plötzlich schreckte Mutter zusammen.
    »Läuse!«, flüsterte sie.
    Die Kinder starrten auf Hedwig. Das Mädchen begann zu weinen. Da lachte eine Frau neben ihnen laut.
    »Läuse?«, rief sie. »Flucht und Läuse gehören zusammen. Alle sind verlaust. Selbst Napoleon hat auf der Flucht anno 1813 Läuse gehabt.« Das Lachen flog durch den Saal. »He«, rief eine Männerstimme aus der hintersten Ecke, »sind da die Bienmanns aus Leschinen?«
    »Bist du es, Paul Fuchs?«, fragte Vater.
    »Aber ja!«, schallte es zurück.
    Vater stieg über die Lager der vielen Leute und kehrte nach längerer Zeit wieder zurück. Er tuschelte Mutter zu: »Wir fahren morgen in aller Frühe mit Paul Fuchs los. Er weiß, dass die Weichselbrücke nur bis neun Uhr geöffnet ist.«
    »Warum, Vater?«, wollte Albert wissen.
    »Ab neun wird der Mittelteil der Brücke ausgeschwommen, damit die Schiffe durchfahren können.«
    »Fahren die denn nicht darunter her?«
    »Nein, Junge, die Eisenbrücke ist zerstört. Die Pioniere haben eine Pontonbrücke gebaut.«
    »Schlaft jetzt, Kinder!«, bat die Mutter.
    Aber das war kaum möglich. Immer wieder schallten Stimmen und Gelächter durch den Saal.
    Es war noch Nacht, als Vater sie leise rüttelte. Sie schlichen sich hinaus. Paul Fuchs hatte bereits angeschirrt. Die Frau und zwei Kinder stiegen auf den Wagen.
    »Wo ist euer kleiner Justus?«, fragte Albert.
    »Still«, sagte Vater rau.
    Erst als sie hinter Fuchs’ Fuhrwerk auf der Straße fuhren, beantwortete er Alberts Frage.

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