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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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die größten Spötter noch vor dem Fest durchzubleuen; was er dann auch redlich besorgte. Bei der Generalprobe am Abend vor dem Johannisfest wagte niemand mehr, den Mund zu verziehen, und das genoss der sterbende Riese in heimlichem Trost. Am Festtag donnerte es lange, bis Georg an die Reihe kam. Erst gratulierten die Kinder dem Pfarrer zum Namenstag, ein Mädchen trug ein Gedicht vor, Sackläufer und Eierläufer tollten über die Wiese, aber dann war es so weit. Schliebuschs Paul stieß in seine Trompete. Kinder und Erwachsene sammelten sich vor der offenen Seite des Pfarrhofes. Das Spiel konnte beginnen. Das Heer der Philister und die Männer des Volkes Israel kämpften und kamen schließlich überein, dass es besser sei, zwei für alle streiten zu lassen.«
    »Wie schön wäre das heute. Aber ob Hitler gewinnen würde?«, fragte Konrad.
    »Georg trat hervor und brüstete sich, schlug mit dem Schwert gegen seinen Schild und lachte tief und laut über den kleinen David. Wie abgemacht, ließ er sich wie tot auf den Boden fallen. David trat heran und stellte ihm den sauber gewaschenen Fuß auf die Brust, nahm ihm das Schwert ab und erstach ihn vollends. Der besiegte Philister wagte einen Blick in die Zuschauer. Alle lachten. Sogar der Pfarrer. Das war dem toten Riesen denn doch zu viel. Was dachten sie von ihm? Das Blut schoss ihm in den Kopf. Heftig sprang er auf. Lehrer Brook fiel vor Schreck fast vom Stuhl. David wich ängstlich zurück. Georg fasste den Knirps am Gürtel, hob ihn auf, trug ihn zehn, zwölf Schritte bis ans Schweinegatter und warf ihn zu den Ferkeln. Wütend drehte er sich um.
    Rings sah er entsetzte Augen auf sich gerichtet. Nur der Pfarrer lachte und winkte ihn zu sich heran. Georg trat mit gesenktem Kopf vor ihn. ›Mein Sohn‹, sagte er freundlich, ›es ist ganz leicht, den Knaben zu den Schweinen zu werfen. Aber damals trug David Gott auf seinen schmalen Schultern. Deshalb besiegte er den Riesen.‹
    Die Belehrung, die Lehrer Brook an diesen Ausgang des Spieles knüpfte, war nicht weniger gehaltvoll. Nur drang sie auf einem anderen Weg, nämlich vom Hosenboden her, in die Seele.«
    »Du kannst ja besser erzählen als Janosch, Vater.«
    Grauer Morgen kam und schneidende Kälte mit ihm. In der Ferne suchte der Junge die Dächer von Danzig. Doch Vater schätzte, es wären wenigstens noch fünfzehn Kilometer bis dorthin.
    »Ich lege mich noch ein bisschen aufs Ohr«, sagte er. »Rufe mich, wenn du die Häuser von Danzig siehst.«
    »Ja, Vater«, sagte der Junge.

22
    Der Morgen kroch dahin und auch der Mittag. Endlich erreichten sie die große Stadt. Der Treck zog weiter. Vater jedoch scherte aus und fragte sich bis zum Hafen durch. Die Kais lagen verlassen. Er fand ein Büro, das für Flüchtlinge zuständig war. Es lag merkwürdig still. Kein Menschenstrom zwängte sich durch die Tür.
    »Du gehst mit«, sagte Vater. Konrad zog seine Jacke zurecht und folgte ihm.
    Auf sein Klopfen rief eine Stimme mürrisch: »Herein!« Sechs schwarze zerkratzte Schreibtische standen ausgerichtet hintereinander. Lediglich über dem ersten brannte trüb eine elektrische Birne. Ein schmaler Mann saß über eine Akte gebeugt. Spitze Schulterknochen bohrten sich durch die Jacke. Der Federhalter hakte unentwegt Namen ab. Namen, Namen, Namen. Der ganze Schreibtisch war übersät mit Bögen voller Namen. Er schien vergessen zu haben, dass er die beiden hereingerufen hatte. Vater stand im Halbdunkel und hielt die Mütze in den Händen. Plötzlich drehte sich der Mann um. Er blinzelte durch dicke randlose Brillengläser in den dämmrigen Raum.
    »Nun?« Sein kleiner Mund blieb fast geschlossen, während er sprach.
    »Wir wollen fragen, wann das nächste Schiff ins Reich fährt«, begann Vater.
    Der Mann riss seine Brille von der schmalen Nase. Ein säuerliches Lächeln schlich sich um seine Lippen.
    »Schiff, wie?« Das Lächeln quoll über vor Spott. »Heim ins Reich, wie?« Dann sprang er auf.
    »Hier!«, rief er und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, dass die Namenslisten aufflogen wie aufgescheuchte Möwen. »Hier sitze ich seit vorgestern.« Er riss ein Päckchen Blätter hervor und ließ sie hinunterflattern.
    »›Bringen Sie die Listen in Ordnung, Mündier‹, haben die Genossen gesagt, verstehen Sie?«
    Doch weder Vater noch Konrad verstanden, was er meinte.
    »Wir kommen doch nur, weil wir einen Platz auf dem Schiff wollen«, versuchte Vater zu erklären. »Die Frau in Braunsberg meinte, von

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