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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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selbst wolle das ebenfalls. Sich diese Nacht abwaschen. Sich die Ereignisse des letzten Monats von der Pelle schrubben. Das brennende Theater vergessen, das Straßenbahnunglück und das Blutbad im Zirkus – und sei es auch nur für ein paar Stunden. Nicht mehr an Fedoras Hundeaugen denken, die eisige Stimme des Herzogs und den Schatten der Mutterhexe, der langsam auf Wyshna und die Welt zukroch. Vielleicht war es Atryk Ol ähnlich ergangen, als er das Landgut gekauft hatte und sich wünschte, Lilien zu pflanzen.
    »›… möchte ich umgeben von Bienen sein, die über dem Blütenstand summen‹«, sagte er laut. Dann nahm er Ywhas Arm und trat mit ihr zum Fahrstuhl.
     
    Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde. Die ganze Zeit über schliefen sie auf dem Rücksitz. Klawdi war sofort und tief eingeschlafen, während Ywha vor sich hin döste, ab und zu mit dem Gesicht gegen die Scheibe sackte und dann nur schwer die Lider aufbekam. Gemüsegärten, Häuser, Landstraßen …
    Der Taxifahrer bremste an einer Gabelung, überlegte kurz und bog dann nach rechts ab. Schlagartig endete die Straße, die nunmehr zwei überwachsene Spuren, gefurcht durch ungemähtes Gras, ersetzten. Der Fahrer hielt vor einem dunklen Tor, das sich ungeachtet seiner bereits abblätternden Farbe inmitten eines verfallenen Zauns stolz erhob. An ihm prangte ein recht neues Schild: Flussstr. 217.
    Klawdi, dessen Augen einfach nicht offen bleiben wollten, sperrte das Tor wie in Zeitlupe mit einem Schlüssel auf, der an einem klirrenden Bund hing. Ywha wartete. Das Ganze wirkte wie ein altes und ebendeshalb gewichtiges und bedeutendes Ritual – gemächlich ein Tor aufzuschließen, das doch in freier Flur dastand. Am Fuße einer der verfaulten Holzsäulen wuchs ein rotköpfiger, vom Gras halb verdeckter Pilz.
    Quietschend taten sich die Flügel auf. Der eine hing bereits nur noch an einer, der letzten intakten Angel, was Klawdi jedoch nicht daran hinderte, Ywha galant den Vortritt zu lassen.
    Im Haus roch es muffig. Eine erschrockene Maus huschte vom Tisch. Zu dem Krachen des herunterfallenden Krugs gesellte sich ein melodischer Klingelton. Ywha fuhr zusammen. Klawdi holte sein Handy aus der Tasche.
    »Hljur … Nein, ich will das jetzt nicht hören. Ich weiß … Ich brauche zwanzig Stunden … Nein. Geh davon aus, dass ich in dieser Zeit tot bin.«
     
    Das auf kleinen Sandbänken wachsende Schilf ertränkend, versteckte sich der Fluss hinter niedrigen krummen Weiden. Am Ufer gab es einen kleinen Steg, der schon völlig morsch war, ganz so wie das Tor und das Haus selbst. Klawdi hämmerte mit einem Stein den gefährlich hervorstehenden Kopf eines verrosteten Nagels ein.
    »Es ist kalt«, sagte Ywha mit nervösem Lachen. »Und das Wasser ist auch kalt.«
    »Das Wasser ist warm«, widersprach Klawdi ernst.
    Am gegenüberliegenden, nicht mit Schilf bewachsenen, dafür aber schlammigen und morastigen Ufer spazierten weiße Gänse.
    »Ich habe keinen Badeanzug.«
    »Und ich habe noch nie eine nackte Hexe gesehen!«
    »Machen Sie sich nicht lustig!«
    »Gut, ich drehe mich um. Vor den Gänsen schämst du dich aber nicht?«
    Ywha warf ihre Kleidung auf den Steg. Ängstlich zu Klawdi hinüberschielend, der demonstrativ in die Ferne sah, tastete sie sich bis zum Rand vor und wäre sicher nicht gesprungen, wenn nicht der verfaulte Steg, durch ihre Zweifel beleidigt, durchgebrochen wäre. Aufkreischend landete Ywha im Fluss.
    Das Wasser war sauber. Glasklar. Es hüllte einen sauberen Körper ein. Sauber bis hin zum Muttermal und den Haaren …
    Ywha erkundete den Grund mit den Füßen. Obwohl sie zusammenzuckte, als die Algen sie berührten, stellte sie sich hin und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Die Gänse formierten sich und rückten langsam übers Wasser vor.
    »Pass auf, die schwimmen auf dich zu!«, warnte Klawdi sie nervös.
    »Ja, und?«
    »Ich habe Angst vor ihnen.« Sie hörte echte Nervosität aus der Stimme des Großinquisitors heraus.
    »Vor Gänsen?«
    »Die kommen immer näher, die Mistviecher!«
    Ywha tauchte unter. Sie öffnete die Augen. Die Welt wirkte irreal und verschwommen. Es ekelte sie nicht mehr, wenn die Algen sie berührten; um Ywhas Schenkel kreiste eine Schar kleiner Fische, die ab und zu silbern auffunkelten.
    Dann schoss sie in gestreckter Haltung nach oben und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Der Inquisitor – ein Anblick, wie er im Buche steht: der Großinquisitor in gestreifter Badehose – saß am Rand des Stegs.

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