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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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wen?«
    Die Worte rutschten einfach aus ihr heraus. Als sie sich auf die Lippen schlug, fing sie bereits seinen tadelnden Blick auf.
     
    Feuer bedeutet nicht immer eine Strafe.
    Feuer bedeutet auch den würzigen Geruch des Rauchs, Wärme und Schutz, sanfte Lichtreflexe in samtener Dunkelheit, gen Himmel aufstiebende Funken und herrliche Bilder, die einem vor Augen tanzen, wenn man nur lange und entspannt genug in die Flammen blickt.
    »Darf ich Sie was fragen, Klawdi?«
    »Sicher.«
    »Was … ist mit ihr passiert? Mit dieser Frau?«
    Eine Pause.
    Das gefasste Gesicht, vom Feuer beleuchtet. Aus unerfindlichen Gründen war Ywha fest davon überzeugt, schon lange habe niemand mehr Klawdi Starsh diese Frage gestellt. Vielleicht sogar noch nie.
    Oder doch? Hatten nicht unzählige Frauen, wenn sie sich, erschöpft von den Liebkosungen und Berührungen seiner Hände, in diesem Riesenbett rekelten, unversehens jenen Schatten gespürt? Den Schatten jener einzigen Frau aus grauer Vorzeit. Ob sie Verzweiflung und Eifersucht empfunden hatten? Ob vielleicht auch eine von ihnen gefragt hatte: Was ist mit ihr geschehen?
    Obwohl Klawdi schwieg, wusste Ywha bereits, dass eine Antwort folgen würde.
    Das Lagerfeuer formte in seinem Innern phantastische Paläste – um sie gleich darauf selbst zu zerstören, sie in eine Funkenwolke zu verwandeln, in Chaos und Asche.
    »Sie ist gestorben, Ywha. Ertrunken.«
    »Vor achtundzwanzig Jahren?«
    »Sie kann … könnte deine Mutter sein. Aber so seid ihr Altersgenossinnen. Du bist sogar etwas älter.« Sein einer Mundwinkel zitterte kaum merklich.
    »Und all die Jahre …«
    »Das spielt keine Rolle.«
    »Doch, das tut es. Ich glaube, Sie geben sich die Schuld an ihrem Tod. Aber sie ist doch nicht durch Ihre Schuld gestorben, oder?«
    Auflodernd fiel ein weiteres Feuergebilde in sich zusammen.
    Akkurat legte Klawdi weitere Zweige nach. Das Lagerfeuer sackte kurz in sich zusammen, züngelte dann aber erneut hoch. Der Lichtkreis wurde größer; in die seltsam wattige Stille quakte zart ein einzelner Frosch hinein.
    »Wir haben vergessen, wie es ist … wenn alles still ist. In Wyshna gibt es diese Stille nicht, stimmt's, Ywha?«
    Sie seufzte mehrmals. Auf allen vieren krabbelte sie auf die andere Seite des Feuers, wobei sie die Decke hinter sich herzog.
    Klawdi erhob keinen Einspruch.
    Sie setzte sich neben ihn, so dicht, dass sie den Kopf auf seine Schultern legen konnte, falls sie es wollte. Sie konnte es, tat es aber nicht. Seufzend zog er sie an sich.
    Eine Minute verging. Eine weitere. Der ewige Tanz der Flammen. Stille.
    »Das Feuer … hat sich nicht verändert. Das stimmt doch, oder, Klawdi? Das muss man sich mal vor Augen halten: Jahrhunderte, Jahrtausende, alles verändert sich, nur das Feuer nicht. Schon die Alten haben da hineingeschaut, vor tausend Jahren, mit ernstem Blick, genau wie wir jetzt. Da wird einem ganz schön schwindlig, oder?«
    »Ja.«
    »Klawdi … ist es Ihnen schon mal passiert, dass Sie etwas sagen wollten und nicht konnten? Weil es die Worte … dafür einfach nicht gibt. Und für manche Dinge existieren tatsächlich keine Worte, oder?«
    »Stimmt.«
    »Ich will nicht schlafen. Ich möchte bis zum Morgengrauen … hier sitzen. Weil …«
    »Ja, Ywha, ja, wir bleiben hier sitzen. Vor allem … da uns ohnehin nicht mehr viel Zeit bis dahin bleibt.«
    Sie bettete den Kopf bequemer – und schloss selig die Augen.
    Um sieben Uhr morgens stand der Dienstwagen bereits vor dem morschen Tor. Er hupte nicht, lenkte die Aufmerksamkeit nicht auf sich, sondern wartete schweigend. Ywha sank der Mut.
    »Wir haben noch zwanzig Minuten«, erklärte Klawdi unerschütterlich. »Wir können noch unseren Tee trinken.«
    Die Maus huschte geschäftig in eine Ecke. Wie gestern.
    Klawdis Hände lagen an der Tischkante, links und rechts von der Tasse. Bleiche Hände, mit einer noch nicht verheilten Schnittwunde und hervortretendem Adergeäst.
    Er schwieg – so lange, bis das Auto, das vorm Eingang stand, taktvoll hupte.
    »Klawdi …«
    »Ja?«
    »Es ist immer so«, flüsterte Ywha. »Wenn man jemanden verliert, glaubt man immer, man selbst sei schuld daran. Bei uns im Dorf, in Tyschka, wo ich geboren bin, da gab es auf dem Friedhof einen richtig guten Lum …«
    Sie verstummte. Das Auto hupte noch einmal.
    »Ein komisches Gespräch«, bemerkte Klawdi mit blassem Lächeln. »Als ob wir in der offenen Tür stünden und gehen sollten, schließlich hatten wir doch genug Zeit. Jetzt

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