Das Jahrhundert der Hexen: Roman
strahlte sogar eine gewisse Behaglichkeit aus, zudem gab es darin alles, was zum Leben nötig war, darunter auch den staatlichen Schutz, an den Klawdi vorbehaltlos glaubte.
Als er Ywha als prophylaktisch Festgenommene in den Akten vermerkte, verspürte Klawdi keinerlei Erleichterung – immerhin hatte er sein professionelles Gewissen doch von einer gewissen Ungereimtheit befreit –, sondern nur blinde Wut und brennende Scham. Und ein Schuldgefühl, denn bereits als er die Verfügung unterschrieben hatte, war ihm klar gewesen, wie sich das Gespräch mit Ywha gestalten würde. Schon damals hatte er vor seinem inneren Auge Ywhas Gesicht gesehen, auf dem ein tödlich beleidigter Ausdruck lag, während die tränenlosen Augen wütend funkelten und die roten Locken wie Flammen züngelten.
»Ywha«, sagte er so sanft wie möglich, »wenn diese verrückten Zeiten vorbei sind – und das werden sie irgendwann sein –, mieten wir dir eine Wohnung. Mit Blick zum Fluss. Du wirst das Leben führen, das dir gefällt. Und nur du allein wirst einen Schlüssel haben. Wenn du möchtest, können wir über der Tür sogar ein Schild anbringen, auf dem steht: Hier wohnt eine absolut freie Hexe. Aber jetzt geht das noch nicht. Wir müssen den Schein wahren, damit niemand einen Grund hat nachzufragen, warum ausgerechnet diese Hexe noch in Freiheit ist.«
»Da haben Sie also meinetwegen Schwierigkeiten«, sagte sie und lachte kurz. »Gerüchte, Intrigen, Unzufriedenheit. Und ich habe geglaubt, wenn einer immun gegen derartiges Gerede ist, dann Sie.«
Er unterdrückte die überraschend in ihm aufsteigende Wut. Lachend versuchte er, ihre Kritik abzutun. »Soll ich dir beim Packen helfen?«
»Das dauert sowieso nicht lange«, erklärte sie, seinem Blick ausweichend. »Das geht schon mein ganzes Leben so. Socken und Schlüpfer in die Tasche, die Jeans und die Jacke an, ein Paar Turnschuhe, dann eine Fahrkarte für den Zug – und schon bin ich weg. Diesmal sorgen Sie halt fürs Ticket.«
»Es wäre schön, wenn du nicht allzu wütend auf einen Menschen wärest, der deinetwegen … Gut, ich sag ja schon gar nichts mehr.«
»Warum denn nicht?« Sie riss den Kopf hoch, worauf das rote Feuer ihrer funkelnden Haare greller aufloderte. »Schießen Sie ruhig los! Das gibt einen schönen Monolog für eine Daily Soap. Was habe ich nicht alles für sie getan?! Und womit gibt sie es mir zurück? Mit furchtbarer Undankbarkeit!‹«
Seufzend wandte er sich zur Tür, als wolle er gehen. Sie erreichte ihn, als er bereits in der Füllung stand, und umarmte ihn spontan – und zwar so fest und überraschend, dass er erstarrte.
»Klawdi … ich fürchte mich. Lassen Sie mich bitte nicht allein. Sie sind der einzige Mensch, dem … ich halbwegs vertrauen kann … Nehmen Sie mich heute Abend mit zu sich. Wie man ein Kind mit nach Hause nimmt, damit es morgen lustiger ist, wenn es ins Heim kommt. Nur einmal. Aus Mitleid. Ja, Klawdi?«
Er bedeckte ihre Hände, die auf seinen Schultern ruhten, mit den seinen.
Wie kamen die Spione Seiner Durchlaucht darauf, der Großinquisitor sei in »wahnsinniger Liebe« zu seinem Schützling entbrannt? Stand dahinter das typische Denkschema? Wenn sich ein Mann, in fortgeschrittenen Jahren und mit einiger Macht ausgestattet, um eine schöne junge Frau kümmert, dann kann das nur eins bedeuten …
Das Füchslein aus seiner Kindheit fiel ihm wieder ein. Der unglückliche Gefangene hinter dem Metallgitter, das freiheitsliebende Wesen, das im Gefängnis und für das Gefängnis geboren worden war.
»Bist du sehr wütend auf mich, Ywha?«
»Weshalb sollte ich? Weshalb? Klawdi, ich verstehe das doch alles … Verzeihen Sie mir. Und nehmen Sie mich mit! Nur heute Abend … Ich werde auf dem Sofa schlafen und Sie nicht stören. Wenn Sie wollen, werde ich sogar …«
Er wandte sich von ihr ab.
Sie wurde rot. Sie stand da, quälte sich mit ihrem Purpur, die Ohren bronzerot, die Augen wieder mit Tränen gefüllt. »Nein! So habe ich das doch gar nicht gemeint! Klaw, sehen Sie mich nicht so an. Verzeihen Sie mir doch! Bitte. Aber ich habe das schon so oft erlebt! Männer, die … die dafür ganz leicht zu kaufen sind. Jetzt denken Sie bestimmt von mir, ich wäre … Aber von Ihnen habe ich so etwas nie angenommen, das schwöre ich! Ich Idiotin! Warum kann ich nie meine Zunge im Zaum halten?!«
»Weine nicht. Ich denke nichts Schlimmes.«
»Wirklich nicht?«
»Ich verstehe ein bisschen was … von Hexen. Weine nicht.«
Es
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