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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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Friseure es in Odnyza gibt, Patron«, klagte Mawyn. »Oder andere Läden, wo manchmal harmlose Tätowierungen vorgenommen werden, manchmal in die Haut der naiven Leute das Zeichen von Keil oder Pumpe eingeritzt wird. Außerdem haben wir noch Vergnügungseinrichtungen, in denen …« Mawyns Stimme überschlug sich. »Von den Tausenden von Hotels, Restaurants, Massagesalons, Privatkliniken und dergleichen ganz zu schweigen!«
    Klawdi drückte die Zigarette in einem riesigen, geschmacklosen Marmoraschenbecher aus. »Mawyn, ich habe immer geglaubt, du würdest den Kreis, in dem du arbeitest, kennen. Mehr noch: Als du diesen Posten angetreten hast, wusstest du doch, worauf du dich einlässt. Und jetzt erklärst du mir mit beleidigter Miene: Wie ich festgestellt habe, kann man sich am Feuer verbrennen, und Wespen stechen …«
    Wieder nahm Mawyn seine Brille ab, damit entblößte er einen empfindlich geröteten Abdruck an der Nasenwurzel. »Dennoch ist es in Odnyza ruhig, Patron. Zumindest auf den ersten Blick. Dafür haben wir … aber lassen wir das. Und die Epidemie ist in Rjanka ausgebrochen, nicht hier.«
    »Beschrei's nicht!«
    Mawyns und Klawdis Blicke kreuzten sich, worauf der Kurator prompt dermaßen erbleichte, dass selbst der rosafarbene Streifen auf der Nasenwurzel mit der Haut verschwamm. »Was? Hier? In Odnyza? Was?!«
    »Ich muss da eine Sache überprüfen.« Nachdenklich zählte Klawdi die Zigaretten, die noch in der Schachtel steckten. »Ich muss dringend mit euren Todeskandidatinnen sprechen. Mit den zehn Frauen, die verurteilt wurden, aber noch nicht bestraft worden sind … Sieh mich nicht so an, Fedora. Ich brauche einen Raum für die Verhöre und … Möglicherweise werde ich sie auch foltern müssen.«
     
    (Djunka. März)
    Juljok ahnte nicht einmal, dass sein Freund ausgerechnet an seinem Geburtstag einen neuen Schock zu verkraften hatte.
    Das ungute Gefühl nagte bereits seit der Haltestelle an Klaw, dort wo er jetzt, im Frühling, normalerweise aus dem Bus sprang, um in einer halben Stunde über einen menschenleeren Pfad zum Sportzentrum zu wandern. Äußere Gründe gab es dafür keine, keinerlei Geräusche, außer dem Krächzen einer Krähe, keine Gerüche, außer dem gewöhnlichen Duft feuchter Erde, keine fremden Spuren im Schnee. Trotzdem verkrampfte sich Klaw, sein Mund trocknete aus.
    Den gewohnten Weg legte er in knapp der Hälfte der Zeit zurück. Vorm Tor zum Sportzentrum stand ein Minibus, ein gelber, mit Blinklicht. Klaw glaubte, seine Beine versänken bis zu den Knien im Boden.
    Diese Schweine!
    Er sah den engen Kranz des Reigens, in dessen Mitte sich eine weibliche Figur in einem schlangenfarbenen Badeanzug wand, schon fast vor sich. In den geballten Fäusten spürte er förmlich das warme, blutbeschmierte Fleisch ihrer Henker. Mit allen Kräften musste er vorwärtsstürmen, um sie allein gegen eine Überzahl zu verteidigen.
    Tatsächlich aber machte er keinen einzigen Schritt.
    Er atmete ein. Und aus. Langsam zählte er bis zehn und ging gelassen und maßvoll weiter. Niemand, kein einziger Beobachter dieser Szene, hätte in seiner Miene etwas anderes zu entdecken vermocht als die erstaunte Neugier eines Jungen.
    Die Tschugeister tanzten nicht. Es waren vier, und sie marschierten am Ufer der teilweise vereisten Bucht entlang, rauchten und warfen sich geschäftig Sätze zu. Ohne die Worte richtig zu verstehen, wusste Klaw, dass überhaupt kein Tanz stattgefunden hatte. Tschugeister, die getanzt und ihr Opfer getötet hatten, zeigten andere Gesichter. Andere Bewegungen, ein anderes Verhalten.
    Also war Djunka …
    Klaw spürte, wie heißes, pulsierendes Blut in seine bleichen, tauben Wangen schoss. Djunka lebte doch noch! Ihr war nichts geschehen! Sie hatten sie gar nicht erwischt!
    Alles Gute zum Geburtstag, Klaw. Heute ist dein Glückstag.
    Sie hatten ihn längst bemerkt. Er wartete noch einen Augenblick, genau so lange, wie ein forscher Junge brauchte, um seine natürliche Schüchternheit zu überwinden. Schließlich marschierte er munter weiter. »Guten Tag«, sagte er. »Ist hier was passiert?«
    Wieder diese Blicke. Klaw hatte eigentlich geglaubt, die Angst vor ihnen ein für alle Mal überwunden zu haben. Ein Irrtum, wie sich jetzt herausstellte.
    »Hallo.« Der Chef der Gruppe war ein kleiner junger Mann mit schwarzem Haar; offenbar stammte er aus dem Süden. »Verrätst du uns vielleicht deinen Namen und was du hier tust?«
    »Ich bin Klawdi Starsh von der Wyshnaer Schule Nr.

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