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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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Bluttropfen. Hatte sie sich also doch geschnitten.
    Die Eingangstür war verschlossen. Ywha stand lange in einem Tordurchgang zwischen den Häusern und lauschte, wie das träge Regenwasser durch die Rinne plätscherte.
    Wohin die Fenster von Wohnung 4 wohl zeigten? Auf den Platz des Siegreichen. Sturms oder in den Hof, wo im Regen eine Kinderschaukel durchweichte?
    Ihre Entschlossenheit schmolz dahin. Diese verfluchte Nacht und diese verfluchten Wolken! Vor allem aber dieses verfluchte Schloss in der Haustür! Womöglich hockte hinter der nachts verschlossenen Tür sogar noch ein Security-Typ. Vielleicht schlummerte er ja gerade, schaute in einem kleinen Fernseher etwas an, wärmte sich die Füße an einem elektrischen Heizer und linste immer wieder zu Wohnung 4 hinüber.
    Aus dem Tordurchgang rannte sie in eine Telefonzelle. Eine Weile betrachtete sie wie gebannt den Tanz der Regentropfen auf der Glasscheibe. Dann riss sie jäh den schwer gewordenen Arm hoch, wählte die Nummer, die sie sich nicht einmal hatte aufzuschreiben brauchen. Sie hatte sich ihrem Gedächtnis doch sofort eingebrannt.
    Niemand nahm ab. Mit dem Rücken gegen die Scheibe gelehnt, sackte Ywha nach unten. Sie umklammerte ihre Knie und zwang sich, an nichts zu denken.
     
    Am frühen Morgen wurde die Haustür von innen geöffnet. Eine ältere Frau mit einem Hund kam zum üblichen Morgenspaziergang heraus. Dame und Hund ähnelten einander in einer Weise, die sich kaum beschreiben ließ. Beide wirkten adlig, gepflegt und ernst.
    Ywha wartete ab, bis die Dame die Hundeexkremente peinlich genau mit einer Schaufel aufgenommen und sie quer über den Hof getragen hatte, um die Masse triumphierend in einen speziellen Abfalleimer zu versenken. Dann geduldete sich Ywha, bis beide nach einigen gemütlich auf dem Hof gedrehten Runden die Treppe vor dem Haus erklommen. Den Hund vorschickend, schloss die Dame die Tür nicht mehr hinter sich ab. Ein neuer Tag hatte begonnen.
    Im Treppenflur roch es nach Regen. Einen Security-Menschen gab es nicht. Dafür stand in einer Ecke ein prachtvoller Ficus, der seinen Kübel zu sprengen drohte. Vermutlich hatte er die Dame schon als Mädchen, den Hund bereits als Welpen gekannt.
    Ywhas Turnschuhe hinterließen feuchte Abdrücke auf den hellen Stufen. Die Decken in dem Haus waren so hoch, dass in den Ecken unter der Treppe das Halbdunkel noch behaglich nistete. Mit der Hand über das lackierte Geländer gleitend, machte sich Ywha auf den Weg nach oben. Es galt, überraschend viele Stufen zu nehmen, obwohl sie doch bloß in den ersten Stock hinauf musste – zu jener hohen, schwarzen Panzertür.
    Die Klingel hallte lange nach. Ywha riss den Finger vom Knopf, der grün wie die Knöpfe an ihrem alten Mantel war.
    Schweigen. Stille. Plötzlich drehte sich im zweiten Stock beherzt der Schlüssel in der Tür, der Hund bellte aufgeregt los.
    Ywha wich von der Tür zurück, wie in Zeitlupe steckte sie die Hände in die Tasche und hob den Kopf.
    Die Dame erschien auf dem Treppenabsatz. In ihrem Gesicht spiegelten sich weder Furcht noch das Misstrauen wider, wie es in vergleichbaren Situationen üblich war, sondern lediglich maßlose Neugier.
    »Herr Starsh ist nicht da. Er ist vorgestern weggefahren. Kann ich Ihnen helfen?«
    »Nein.« Ywha drehte sich um.
    »Aber Sie wollten doch zu Klaw, oder?« Das Erstaunen der Dame schien noch zuzunehmen. »Ich meine, zu Herrn Starsh.«
    Sie sollte jetzt wohl besser etwas sagen. Eine Minute lang versuchte Ywha, sich ein Wort abzuringen. Dann wandte sie sich einfach um und ging nach unten. Hilflos glitt ihre schmutzige Hand über den gelben Lack des Geländers.
     
    Klawdi schlief und träumte, ein Fisch zu sein. Ein kugelrunder und vollkommen grauer Fisch. Das gefiel ihm, doch als das Flugzeug zur Landung ansetzte, brach der Traum mit einer unangenehmen Kälte in der Brust ab.
    Zwei Hexen hatte er umsonst gefoltert, sie wussten nicht das Geringste. Die dritte wusste zwar etwas, doch selbst er schaffte es nicht, ihr dieses Wissen zu entreißen. Die vierte hatte ebenfalls beharrlich geschwiegen, war am Ende aber doch eingeknickt und hatte ausgesagt.
    Selbst wenn es kaum alles gewesen sein dürfte. Mawyn war ein Profi, der hart würde arbeiten müssen. Aber eben darum ging es nun einmal, um Arbeit, nicht um das nervöse Löschen eines Feuers. Immerhin schienen sie dieses Feuer gerade noch rechtzeitig ausgetreten zu haben.
    »Du verstehst das doch, nicht wahr? Das, was hier vor sich geht? Du

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