Das Jahrhundert der Hexen: Roman
blieb, der graugrüne Spiegel des Bildschirms war.
So, so. Da hockte sie also in der Wohnung des Großinquisitors, auf seinem Fußboden, vor seiner stummen Glotze. Bleib jetzt ganz ruhig, du Hexe, verlier bloß nicht die Nerven. Draußen im Regen wäre es weitaus ekliger. Für Hexen ist im Augenblick alles etwas komplizierter, ihr ohnehin nicht gerade einfaches Leben eben auch.
Feuchte Spuren auf dem Boden hinterlassend, ging sie in die Küche. Mit zusammengepressten Lippen sah sie sich um und öffnete den Kühlschrank. In ihrem Mund wurde es sofort warm. Spucke sammelte sich. Zum Glück war ihr gesunder Appetit noch immer stärker als jedes Unglück. Sie würde sich gar nicht erst etwas warm machen, sondern gleich alles kalt essen. Nur einen Tee wollte sie sich kochen.
Sie wandte sich dem Herd zu. Der Kessel funkelte ihr mit einer spiegelblanken Seite zu, in der sich ein Mensch abzeichnete, der im Türrahmen stand.
Ywhas Arme wurden schwer. Selbst der Kessel wurde unsagbar schwer, obwohl doch nur Wasser für zwei Tassen darin war.
»Ich kann nicht einschlafen«, erklärte der Inquisitor fast entschuldigend. »Das ist zwar ärgerlich, erstaunt mich aber auch nicht besonders.«
Er trug einen schwarzen Hausmantel, dessen bodenlanger Schnitt sie an ein mittelalterliches Gewand erinnerte.
»Dafür haben die Menschen jede Menge Wunderpillen ersonnen«, sagte Ywha mit gesenktem Blick.
»Die wirken bei mir nicht«, gestand der Inquisitor. »Ich habe einen besonderen Organismus, ist dir das noch nicht aufgefallen?«
Indem Ywha schluckte, vertrieb sie das Gespenst der Übelkeit.
»Um deine Abwehr könnte dich wirklich jede Kampfhexe beneiden«, bemerkte der Inquisitor mit einem seltsamen Lächeln. »Lass uns was essen.«
Doch wie Ywha feststellte, war ihr der Appetit schlagartig vergangen. Sie beobachtete, wie die Wassertropfen auf dem spiegelblanken Kessel zitterten, zischten und verdampften. »Was werden Sie jetzt mit mir machen?«
»Gute Frage …«, erwiderte der Inquisitor mit hochgezogener Braue.
Zum ersten Mal traute sich Ywha, ihm ins Gesicht zu blicken. Ein müdes Gesicht, das musste sie zugeben. Beleuchtet von dem weißen Laternenlicht, obwohl es bereits heller Tag war.
»Eine gute Frage, Ywha.« Gedankenverloren holte der Inquisitor ein krosses, helles Brötchen aus dem Brotkasten. »Hast du Nasar angerufen?«
Sie wandte sich ab.
»Weißt du …« Der Inquisitor schnitt das Brötchen so akkurat in Scheiben, dass es jedem Restaurant Ehre gemacht hätte. »… schon in meiner Kindheit hat man mir beigebracht, dass die persönlichen Probleme eines Menschen nur diesen selbst etwas angehen.«
»Warum haben Sie es ihnen dann gesagt?«, zischte Ywha kaum hörbar. »Sie wollen mich doch … bei lebendigem Leibe … Warum? Was habe ich Ihnen getan?«
»Es ist Nasar, der dir deinen Verrat krummnimmt«, erklärte der Inquisitor kalt. »Früher oder später wäre sowieso alles herausgekommen, nur wäre es dann noch schmerzlicher gewesen.«
»Das geht gar nicht.«
»Das glaubst du.« Die Stimme des Inquisitors knisterte wie Asche, die der Wind durch einen Schornstein fegte, und ließ Ywha frösteln.
Das Wasser kochte, der Kessel pfiff. In seinem Hals muss auch eine Pfeife stecken, dachte Ywha. Damit er anschlagen kann wie ein fröhlicher Hund.
»Die persönlichen Probleme …«, knurrte Ywha aufgebracht. »Man sollte das nicht verwechseln … die persönlichen Probleme und … die beruflichen Pflichten … Aber Sie wollten ja offenbar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen …«
»Du solltest dich hinsetzen, Ywha«, sagte der Inquisitor müde.
»Ich stehe lieber.«
»Setz dich.«
Indem sie sich am Rand des Tisches festkrallte, versuchte sie stehen zu bleiben, während der hingeschleuderte Befehl mit ihrem Willen kämpfte. So machen sie es!, schoss es Ywha durch den Kopf. Genau so. Da hat mich das Mädchen in der Schuluniform nicht angelogen.
Der Boden kam immer näher. Ein sauberer Boden, gewischt von den Händen einer rechtschaffenen Putzfrau. Mit einem lustig gewürfelten PVC …
Der Kampf endete ergebnislos, riss einfach ab. Der Befehl löste sich in Luft auf, und Ywhas angespannter Wille, damit seines Gegners beraubt, strauchelte auf der Suche nach einem Ausweg. In ihren Ohren hallte der Aufprall wider, als sie schmerzhaft mit der Hand auf dem Boden aufschlug.
»Tut mir leid, das wollte ich nicht.«
Sie biss sich auf die Lippen und rappelte sich hoch. Auf gar keinen Fall durfte sie vor ihm auf
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