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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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wenig beruhigend.
    Die Frau sperrte erst eine Tür auf, dann noch zwei weitere. Hier gab es einfach zu viele Schlösser. Verdächtig viele. Allzu grell blitzte eine vernickelte Klinke auf. Und selbst die Pflanzen in ihren Kübeln rochen nach Desinfektionsmittel.
    Der nächste Gang stellte sich als kurz und fensterlos heraus und mündete in eine Wand. Rechts und links gingen Türen ab, die Ywha gar nicht erst zählte. Jede von ihnen verfügte über ein kleines verschlossenes Guckloch. Das Ganze erinnerte verdammt an ein Gefängnis. Ywha erschauderte.
    An einer der Türen hob die Frau die Sichtschutzblende. Nachdem sie hineingespäht hatte, blickte sie den Inquisitor fragend an.
    »Öffnen Sie bitte«, sagte dieser.
    Lautlos ging die Tür auf – als ob es sich nicht um eine schwere Panzertür handelte, sondern um eine schlichte Schlafzimmertür. Die Angeln mussten gut geölt sein.
    »Komm her, Ywha.«
    »Ich will nicht.«
    »Sieh dir das an, das ist notwendig.«
    Er fasste sie bei den Schultern und schob sie vor die Tür. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln war hier noch stärker, darüber lag jedoch noch ein anderer, ein widerlicher Beigeruch. Abgestanden war die Luft, wie im Zimmer eines Schwerkranken.
    Der Raum wirkte so groß wie ein Ballsaal – und ebenso leer, sah man einmal von den fünf, nein, sechs Betten ab, die sich an der Wand reihten. Unter grauen Decken zeichneten sich gekrümmte Körper ab. Auf weißen Kissen ruhten rasierte Köpfe. Ein Bett war leer, darin gab es nur eine gestreifte Matratze.
    »Gehen wir rein.«
    Unbewusst krallte sich Ywha in den Arm ihres Begleiters. »Wer … sind die?«
    »Sieh sie dir an.«
    Fünf Frauen lagen in gleicher Stellung da, die Knie vor den Bauch gezogen. Alle fünf hatten große, offene, stumpfe und wahnsinnige Augen. Keine von ihnen reagierte in irgendeiner Form auf die Besucher. Auf den halb geöffneten Lippen schimmerte Speichel.
    »Hab keine Angst, Ywha.«
    »Darf ich wieder gehen?«
    »Ja. Gehen wir.«
    Die Frau erwartete sie im Gang.
    »Das und das brauchen wir nicht«, erklärte der Inquisitor, in Richtung der entsprechenden Türen nickend. »Dahinter erwartet uns der gleiche Anblick. Aber die Tür öffnen Sie bitte, Frau Sat. Ich möchte dir jemanden vorstellen, Ywha.«
    Das Zimmer war wesentlich kleiner. In einer Art Zahnarztstuhl saß eine kahl rasierte Frau mit offenen Augen und entrücktem, irgendwie verschwommenem Gesichtsausdruck. Im ersten Moment glaubte Ywha, die Frau behalte die Eintretenden fest im Blick; tatsächlich nahm sie jedoch überhaupt nichts wahr. Die himmelblauen Augen wirkten wie geschliffenes Glas. An den schmalen Schultern hing ein formloses, dunkles Kleid. Auf dem rasierten Schädel saß eine schwarze Mütze.
    »Guten Tag, Tyma«, sagte der Inquisitor. In seiner Stimme schien echte Zärtlichkeit zu liegen. »Das ist Ywha.«
    Die Insassin antwortete nicht. Kraftlos lagen ihre Hände auf den Armlehnen. Schöne Hände hatte sie, mit schlanken Fingern und kurz geschnittenen Nägeln.
    »Das ist Tyma Leus«, erklärte der Inquisitor sachlich. »Sie ist Neurochirurgin. Die einzige mir bekannte Hexe, die es geschafft hat, zu studieren und wissenschaftliche Erfolge zu erzielen.«
    »Sie ist eine Hexe?!«
    »Ja. Eine ehemalige. Ihr Geliebter hat ihr eine Bedingung gestellt … Er wollte keine Hexe heiraten, und sie hat geschworen, seine Bedingung zu akzeptieren. Man versucht in der Tat nicht erst seit gestern, den Hexen ihre Hexenschaft zu nehmen. Und auch nicht erst seit vier Jahren, als wir Tyma … ins Programm genommen haben. Auch nicht seit vierhundert Jahren …«
    Wieder richtete Ywha den Blick auf die Frau auf dem Stuhl. Ihre Brust hob sich kaum merklich im Rhythmus ihres Atems. Andere Reaktionen zeigte sie nicht. Selbst als der Inquisitor die Hand auf der Armlehne mit der seinen bedeckte, änderte sich nichts. Nicht einmal mit den Wimpern zuckte sie. Als sei sie eine Pflanze.
    »Die Hexenschaft … Es ist ein ganzer Komplex von Eigenschaften, den wir so nennen. Er ist mit den Charaktereigenschaften derart verflochten, dass wir, indem wir die Hexe in einer Frau töten, die gesamte Persönlichkeit töten müssen. Insgesamt haben an dem Programm fünfzehn Frauen teilgenommen. Tyma war die Erste. Sie alle kamen selbstverständlich freiwillig und voller Hoffnung zu uns. Sie alle hatten ihre Gründe, insbesondere Tyma, denn sie hatte jemanden, den sie liebte.«
    Ywha holte tief Luft.
    »Tyma war ein kluger Kopf«, sagte der Inquisitor mit

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