Das Janus-Monster
innen zu drücken.
Jetzt ließ sie sich Zeit. Shao war vorsichtig. Sie musste davon ausgehen, dass die Geräusche in der Stille gehört worden waren und jemand erschien.
Das Glück stand auf ihrer Seite. Ein letzter Druck mit der Schulter gegen die Tür, dann hatte sie es geschafft.
Der dunkle Hinterflur schluckte sie. Die Tasche hatte sie mit in das Haus geschleift und streifte nun den Köcher mit den Pfeilen über, während sie die Armbrust in der Hand hielt. Deren dunkles Holz passte sich der Umgebung an. Ebenso wie Shao, die sich von der Umgebung nicht abhob.
Der Flur war eng. Sie kannte ihn. Er verzweigte. Zu den Toiletten wollte sie nicht. Sie tauchte in den zweiten Gang ein. Das Licht gab nur einen reduzierten Schein ab, der sich auf dem dunklen Boden verlief wie zittriges Wasser.
In sehr kurzer Zeit hatte Shao die Bürotür erreicht. Sie war geschlossen, aber nicht abgeschlossen. Shao nickte wie jemand, der damit gerechnet hatte.
Irgendwo vor ihr wurde eine Tür geöffnet, die zum Restaurant führte.
Stimmen drangen bis zu ihr, und die Chinesin beeilte sich mit dem Öffnen der Tür.
Shao huschte in den dahinterliegenden Raum und blieb zunächst stehen. Durchatmen, sich Ruhe gönnen. Einige Sekunden verstrichen.
Dann tastete sie sich von innen an das Türschloss heran und lächelte leicht, als sie den Schlüssel fühlte. Zweimal konnte sie ihn umdrehen, dann war die Tür abgeschlossen.
Im Büro war es dunkel, aber nicht stockfinster. So schälten sich nach einer gewissen Zeitspanne die Umrisse der Möbel hervor, und Shao sah den Spiegel an der Wand. Ihm galt ihr Interesse.
Ihre Tasche ließ sie stehen, als sie auf den Spiegel zuging. Dabei überlegte sie, ob sie das Licht einschalten oder es dunkel lassen sollte.
Es war besser, wenn kein Licht brannte. Sie brauchte ja nichts Neues mehr zu sehen, sie wollte nur etwas Altes hervorlocken, und das klappte auch in der Dunkelheit.
Shao blieb vor dem Spiegel stehen. Ihre Augen hatten sich an die düstere Umgebung gewöhnt. Möglicherweise waren sie auch auf eine geheimnisvolle Art und Weise geschärft worden, denn Shao gelang es, den Spiegel so deutlich zu sehen, als läge er im Licht.
Der Rahmen war trotz der in das Holz geschnitzten Szenen nicht interessant für sie. Die Fläche war wichtiger. Dort hatte sich die Magie konzentriert.
Sie stand davor. Sie schaute nach vorn. Shao sah alles, aber sie konnte im Augenblick einfach nichts tun. Sie war noch zu durcheinander. Sie wollte abwarten, bis sie den Spiegel fühlen konnte, und dies auf geistigem Weg. Sie ging einfach davon aus, dass dieser Spiegel eine magische Aura besaß. Diese aufzufangen, war für Shao wichtig.
Noch passierte nichts. Shao dachte nicht daran, aufzugeben. Da war etwas. Sie spürte es. Etwas kroch aus dem Spiegel hervor wie eine Botschaft, die normalerweise in einer anderen Welt zu finden war und mit der normalen nichts zu tun hatte.
Noch hatte Shao den Spiegel nicht berührt. Sie brauchte eine gewisse Zeit, um sich auf ihn einzustellen. Dann reagierte sie so, wie ein John Sinclair es oft mit seinem Kreuz tat. Sie jedoch nahm die bloßen Hände, um jede Stelle abzutasten.
Sie fing an den Seiten an. Dabei kam es ihr nicht darauf an, schnell zu sein, sondern intensiv und auch vorsichtig. Einen Fehler durfte sie sich nicht erlauben.
Spiegel aller Art hatte Shao schon oft berührt. Sie wusste genau, wie sie sich anfühlten, und sie war ein wenig enttäuscht, als sie feststellte, dass diese Fläche in keiner Hinsicht von der eines normalen Spiegels abwich.
Um auch sein Ende erreichen zu können, stellte sich Shao auf die Zehenspitzen. Es wäre nicht nötig gewesen, denn auch dort fand sie keine Veränderung.
Eine Enttäuschung wollte sie erst gar nicht aufkommen lassen, noch hatte sie den Mittelteil nicht getestet. Von Glenda Perkins wusste sie, dass Kato den Spiegel aus der Mitte verlassen hatte. Wenn sich dort tatsächlich der Ausstieg oder das Schlupfloch in eine andere Welt befand, konnte sie mehr als zufrieden sein.
Beim ersten Kontakt leuchteten ihre Augen auf. Sie hatte etwas entdeckt. Die Fläche war zwar nicht weich oder nachgiebig geworden, aber sie hatte sich anders angefühlt. Nicht mehr ganz so glatt. Etwas rauher. Wie mit einem Sandstein bearbeitet.
Ihr Blick war scharf. So konnte sie erkennen, dass die Mitte nicht so aussah wie die Randflächen des Spiegels. Sie war doch ein wenig dunkler. Das hatte Shao auch bei ihrem ersten Besuch schon gesehen.
Das war der
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