Das Janus-Monster
ihren Mund geöffnet hatte und den rechten Handballen gegen die Zähne presste. Ihre Augen waren dabei in ständiger Bewegung. Sie wollte herausfinden, ob sich das Phänomen noch einmal wiederholte, um vor uns nicht als Spinnerin dazustehen.
»Nun?«
Meine Frage hatte Suko gegolten, aber Akina fühlte sich angesprochen. »Das war keine Einbildung. Dort hielt sich jemand auf. Er konnte sich sogar bewegen.«
»War er groß?« fragte ich. »Hatte er vielleicht…«
»John, sie hat recht!«
Plötzlich war es für Suko aufgeregt. Er stand nicht mehr bei uns. Ich musste einige Schritte über den rauhen Steinboden gehen, um ihn zu erreichen.
Strikt leuchtete er gegen die Fläche. »Schau genau hin, John!« flüsterte er mir zu. »Schau verdammt gut hin. Dann sag mir, was du siehst. Ehrlich…«
Suko war ziemlich mitgenommen. So kannte ich ihn nur selten. Der Anblick musste ihn geschockt haben. So schaute ich nicht nur hin, ich leuchtete auch einen Teil der Fläche an. Dabei bewegte ich meine Hand, damit der Strahl wandern konnte - und ein Ziel traf.
Ja, da steckte jemand. Leider noch zu undeutlich. Mehr ein Gebilde.
So war nicht zu erkennen, ob sich ein Mensch dort aufhielt oder ein anderes Wesen, das den Begriff Monstrum verdiente.
Jedenfalls bewegte es sich. Es ging auch. Leider noch immer zu weit im Hintergrund, so dass auch das Licht meiner Lampe es nicht erreichte.
Suko leuchtete die Fläche ebenfalls ab. Beide warteten wir darauf, dass sich die Gestalt nach vorn bewegte.
Sie tat uns den Gefallen. Zu hören war nichts. Innerhalb der Fläche wurde jedes Geräusch aufgesaugt. Kein Knistern, keine Schritte, es drang einfach nichts mehr an unsere Ohren.
Nur die Gestalt sahen wir. Ein Mensch, kein Monster. Eine Frau. Aber sie hatte sich verändert. Neben mir hörte ich Suko leise stöhnen, denn er hatte sie ebenfalls erkannt.
Es war Shao, die sich in der anderen Welt herumtrieb. Aber nicht mehr normal, sondern als Kämpferin, denn sie war zum Phantom aus dem Jenseits geworden…
***
Wenn es darauf ankam, konnte Shao schweigen. Da waren ihre Lippen versiegelt. In diesem Fall kam es darauf an, dass sie schwieg, denn sie wollte Glenda nicht in ihre Pläne einweihen. Sie war anders als Shao.
Sie war keine Kämpferin in dem Sinne, und Shao weihte sie deshalb nicht in ihre Pläne ein.
Zu Hause angekommen, traf sie die Vorbereitungen in aller Ruhe. Sie überstürzte nichts, denn Hektik war jetzt fehl am Platz. Ein Taxi hatte sie sich bestellt. Während sie auf den Wagen wartete, holte sie die Dinge hervor, die jetzt wichtig waren. Die Halbmaske, die ihre obere Gesichtshälfte bedeckte, den hautengen, dünnen Lederanzug, die Stiefel und natürlich ihre Waffe, mit der sie perfekt umgehen konnte. Es war die Armbrust, dieses alte, aus einer Bogenschleuder entwickelte Instrument. Eine ungewöhnliche, aber perfekte Waffe in der Hand einer Könnerin, und das war Shao.
Bügel, Sehne, Schaft, Bolzenrinne und Drücker. Es war alles an der Armbrust vorhanden, und es war gepflegt, denn darauf legte Shao großen Wirt. Eine Reisetasche stand neben ihr. Sie legte die Waffe auf den Boden und packte die Kleidung darüber, bevor sie zuletzt den mit Pfeilen bestückten Köcher hineinlegte. Jetzt war sie fertig.
Wie getimt kam ihr alles vor, denn es klingelte, und unten meldete sich der Taxifahrer durch die Sprechanlage.
»Ich bin sofort bei Ihnen«, erklärte Shao, bevor sie die Tasche an sich nahm, die Wohnung verließ, abschloss und nach unten fuhr. Sie hatte ihren beiden Freunden nichts gesagt, denn diese Pläne musste sie allein durchziehen. Das war sie sich und auch ihrer Vergangenheit einfach schuldig.
Der Fahrer wollte ihr die Tasche abnehmen, was Shao nicht zuließ. Sie setzte sich in den Fond, stellte die Tasche neben sich und gab als Ziel das Restaurant Nippon Food an.
»Bekommt man da jetzt noch was zu essen?« erkundigte sich der Mann.
»Bestimmt.«
»Muss ich mir merken. Aber das ist doch alles so ein rohes Zeug, dieses Sushi…«
»Manchen Menschen schmeckt es.«
Der Mann lachte. »Kann ich mir denken. Mein Fall ist das aber nicht, das kann ich Ihnen schwören.«
Shao sagte nichts dazu. Sie wollte die Unterhaltung nicht fortsetzen und mit ihren Gedanken allein sein. Sie schaute dabei aus dem Fenster, ohne das nächtliche London richtig wahrzunehmen. Es huschte nur vorbei. Ein Bild, das sich aus Dunkelheit, hellem und auch mal farbigem Licht zusammensetzte.
Die Zeit drängte. Das bildete sie sich nicht ein.
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