Das Jesus Video
dem hohen Schrank im Schlafzimmer und wandte sich einem neuen Roman zu, der mit all dem möglichst wenig, am besten überhaupt nichts zu tun hatte. Einem Rezensenten sollte später auffallen, daß Eisenhardt nie wieder eine Zeitreisegeschichte schrieb.
Der kanadische Historiker Professor Goutiere wurde weder festgenommen noch angeklagt, sondern kehrte ebenso wie Kauns angestellte Mitarbeiter ungehindert in seine Heimat zurück. Einige Jahre später erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich nie wieder erholen sollte.
Die Kirche vom Sämann wurde aufgegeben und säkularisiert. Die nach der Ankunft des Luigi Baptist Scarfaro eingestellte Armenspeisung war nie wieder aufgenommen worden.
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DREI JAHRE SPÄTER
DRAUSSEN NIESELTE EIN kalter, mißgünstiger Regen aus einem stumpfgrauen Novemberhimmel, drinnen wollte die Heizung immer noch nicht recht anspringen, und so versuchte Stephen Foxx, die Kälte mit zahlreichen Tassen heißen Tees und einem dicken Strickpullover zu bekämpfen. Er saß gerade vor einem seiner älteren Aktenordner, beide Hände um eine dampfende Tasse gelegt, und versuchte den Inhalt und Sinn seiner alten Vorlesungsmitschriebe zu enträtseln, als das Telefon klingelte.
Es war, mal wieder, die Firma Video World Dispatcher. Genauer gesagt, Miss Barnett, zuständig für den Bereich Marketing. Miss Barnett zeichnete sich durch zwei Eigenschaften aus: Erstens durch die Angewohnheit, sich so grell zu schminken, als wolle sie der Leuchtreklame auf dem Dach des Firmensitzes Konkurrenz machen; zweitens durch eine tiefverwurzelte Abneigung dagegen, einen Computer auch nur anzufassen.
In den drei Jahren, die hinter ihm lagen, war Video World Dispatcher zu seinem Hauptkunden geworden. Er hatte damals, nach seiner Rückkehr aus Israel, den Auftrag bekommen, obwohl er auf die eindringlichen Fragen von George C. Addams, dem Geschäftsführer und Hauptgesellschafter, wahrheitsgemäß erklärt hatte, daß die Firma, juristisch gesehen, nur aus ihm persönlich bestehe und daß er zusammen mit Partnern in Bangalore, Indien, etwas betrieb, was neuerdings virtual Company zu nennen in Mode gekommen war.
Mister Addams hatte beim Stichwort»Indien«nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Von der Größenordnung her war dieser Auftrag seinem ersten Projekt vergleichbar gewesen, aber diesmal war es mehr Arbeit geworden, und es hatte weniger Geld dafür gegeben. Die Zeiten änderten sich, was ihm spätestens klargeworden war, als Amal Rangarajan ihm erklärte, daß sie aus Kostengründen Teile des Auftrags an Subunternehmer in Usbekistan weitergeben müßten, weil indische Top-Programmierer inzwischen kaum noch zu bezahlen seien.
»Mister Foxx, Sie müssen unbedingt kommen!«Es klang, als brenne mindestens die Lagerhalle.
Stephen atmete einmal aus und wieder ein, ließ den Blick über die Karteikästen, Übersichtspläne, Formelsammlungen und Notizen seines ganzen Studiums wandern und dachte an das bevorstehende Examen.»Was ist kaputt?«fragte er dann. Nichts, wahrscheinlich. Wie immer wird sich herausstellen, daß es ein Bedienungsfehler war, weil niemand die Anleitung beachtet hat.
»In vier Wochen«, erklärte Miss Barnett aufgeregt,»beginnt die weltweite Markteinführungskampagne des neuen MR-Systems von SONY.«
»Ah«, machte Stephen.
Das MR-System. Wie lange hatte er daran nicht mehr gedacht. Blitzartig kam ihm zu Bewußtsein, daß von dem fünfjährigen Einreiseverbot nach Israel, das ihm auferlegt worden war, über die Hälfte bereits verstrichen war. Erinnerungen wurden wach, blubberten hoch wie Gasblasen aus einem trüben Sumpf. Die Anspannung der Jagd, die Verfolgung durch die Wüste, die Stunden, da er sie tatsächlich in der Hand gehalten hatte, die Kamera, die die phantastischste aller Reisen mitgemacht hatte, die Videokamera aus der Vergangenheit. Die Schmerzen, die Hitze. Die Küsse. Judith.
»Wir haben jetzt das Problem«, fuhr Miss Barnett fort was EDV anbelangte, hatte sie nie einfach nur Aufgaben, die zu erledigen waren, sie hatte immer Probleme -,»daß wir alle Kunden, die das System vorab per Internet bestellt haben anschreiben müssen. Die Adressen müßten ja gespeichert sein, oder…?«
»Ja«, nickte Stephen,»selbstverständlich.«
»Und kann man nun aufgrund dieser Adressen… irgendwie… Briefe ausdrucken, in denen die Adresse jeweils automatisch eingefügt wird?«
»Sicher«, erklärte Stephen geduldig.»Das nennt man einen Serienbrief.«
»Können Sie das für uns
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