Das Jesusfragment
ich in der Garage eines Freimaurers«, spottete ich.
Ich kramte nach dem Werkzeug und versuchte, nicht zu viel Lärm zu machen, um den Uhrmacher nicht zu stören. Schließlich hatte ich Glück, nachdem ich alle Schränke durchwühlt und die Hälfte der gestapelten Kartons umgeräumt hatte. Ich fand ein großes Lineal, eine Wasserwaage, Nägel, einen Hammer und zwei hohe Dreibeine, die früher vermutlich als Ständer für Lautsprecherboxen gedient hatten.
Mit Lucies Hilfe versuchte ich, das Bild auf einem der Dreibeine zu befestigen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen legte ich das Bild wieder auf den Boden und seufzte.
»Hör zu, Jacqueline, das ist ziemlich kompliziert, ich mache jetzt das Handy aus und versuche, das in Ruhe hinzukriegen. Ich ruf dich zurück, einverstanden?«
»Viel Glück!«
Ich rief François um Hilfe. Offensichtlich hatte er direkt hinter der Tür gewartet, denn er war sofort zu Stelle. Er kannte seine Garage besser als ich und fand mühelos geeignetere Werkzeuge. Der Uhrmacher gab uns ein paar wertvolle Ratschläge, ohne seine Arbeit an da Vincis Maschine zu unterbrechen, und schließlich war das Bild in der richtigen Position fest verankert.
François überprüfte mehrere Male, ob die Entfernung stimmte und das Bild korrekt ausgerichtet war. Es war dennoch schwierig, so präzise zu sein, genau 52,56 Zentimeter. Mit Hilfe des Uhrmachers befestigte er die Maschine am Boden, um zu vermeiden, dass er später alles noch mal berechnen musste.
Ich griff nach meinem Handy und gab Jacquelines Nummer ein.
»Wir haben's geschafft«, verkündete ich. »Aber es ist nicht einfach, alles ganz genau auszurichten!«
»Das ist nicht so schlimm«, versicherte sie mir. »Wenn ich es richtig kapiert habe, ermöglicht dir die erste Position die Maschine zu eichen.«
»Ah ja? Vermutlich gibt es deshalb vierunddreißig Positionen, obwohl es nur dreiunddreißig Buchstaben sind.«
»Sicherlich. Ich verstehe eigentlich nicht warum, aber die erste Position gibt dir das, was Dürer Farbpalette genannt hatte.«
»Und dann?«
»Ich glaube, das bedeutet, dass die Elemente des Codes tatsächlich Farben sind.«
»Könnten die Farben Zahlen entsprechen?«
»Warum?«, wollte Jacqueline wissen.
»Nach Lucies Meinung ist es möglich, dass der Code eine Folge von Zahlen ist. Aber wie könnten die Farben Zahlen entsprechen?«
Lucie griff nach meinem Arm. Sie bat mich, zu wiederholen, was Jacqueline am Telefon gesagt hatte. Ich tat es.
»Das ist genial«, rief sie aus.
»Was?«
Das junge Mädchen ging auf und ab. Sie war völlig aufgewühlt.
»Da Vinci war wirklich ein Genie!«, murmelte sie, als ob sie die Lösung des Rätsels im Kopf nachvollziehen würde.
»Sprich!«
»Er hat die Digitalisierung erfunden, lange vor unserer Zeit! Ich sag es noch mal: dieser Vorgang hat große Ähnlichkeit mit dem, was wir heute in der Informatik praktizieren!«
»Wie das?«
»Das ist ungefähr dasselbe System wie die Komprimierung von GIF-Dateien. Jedes GIF-Bild besitzt eine eigene Farbpalette, eine Art nummerierter Index, der in die Datei integriert ist. Jeder Farbe ist eine genaue Nummer in der Palette zugeordnet. Und da Vinci muss also an diese unglaublich einfache Codierung gedacht haben! Stellen Sie sich das mal vor! Er konnte nicht das Risiko eingehen, farbige Codes zu verwenden, weil er wusste, dass sie veralten würden. Damit hat er übrigens auch Recht behalten, denn die Farben seiner Gemälde sind tatsächlich bräunlich nachgedunkelt. Also hat er seine Farbpalette, die Nummern für seine Farben, in das Bild selbst integriert! Das hat zur Folge, dass die Palette der gleichen Verfärbung unterliegt wie das Bild selbst.«
»Aha. Und du verstehst, wie das funktioniert?«
»Selbstverständlich!«, erwiderte Lucie, die vor Eifer glühte. »Zumindest glaube ich es! Schauen Sie. Die erste Position der Maschine wird es uns ermöglichen, die Stelle zu vergrößern, auf der sich die Palette befindet. Wenn ich mich nicht irre, werden wir eine Folge von dreiunddreißig Farben entdecken, die hintereinander angeordnet sind. Somit wissen wir, dass die erste Farbe der Zahl eins entspricht, die zweite der Zahl zwei etc. Und ich gehe jede Wette ein, dass die dreiunddreißig Positionen der Maschine uns dreiunddreißig Farben zeigen werden, eine für jede, und wir brauchen dann nur noch die Position dieser Farbe in der Palette zu suchen, um die entsprechende Zahl zu finden.«
»Nun, wenn du meinst!«
»Aber das ist ganz
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