Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
davon müssen also zusammen einen Kern mit sechs Protonen und sechs Neutronen ergeben. Das ist Kohlenstoff.
Im dichten Medium eines roten Riesensterns stoßen Kerne recht oft zusammen. Aber es ist nicht allzu wahrscheinlich, dass genau in dem Moment, wenn zwei aufeinandertreffen, ein dritter hinzukommt. Also muss der Prozess in zwei Schritten erfolgen. Zuerst stoßen zwei Heliumkerne zusammen und verschmelzen zu Beryllium. Damit verschmilzt dann ein weiterer Heliumkern. Zum Leidwesen dieser Theorie zerfällt diese Form von Beryllium nach hundert Trillionstel (10 –16 ) Sekunden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Heliumkern ein derart schnell verschwindendes Ziel trifft, ist viel zu gering.
Hoyle wusste das, und er wusste auch, dass es einen Ausweg gab. Wenn die kombinierte Energie von Beryllium und Helium zufällig sehr nahe bei einem Energieniveau des Kohlenstoffs liegt, dann können die Kerne viel schneller verschmelzen, und die Rechnung geht auf. Solch eine fast exakte Übereinstimmung von Energien wird Resonanz genannt. Damals war keine passende Resonanz bekannt, doch Hoyle bestand darauf, dass es eine geben müsse. Andernfalls gäbe es Hoyle nicht, der aus ziemlich viel Kohlenstoff bestand. Daher sagte er ein unbekanntes Energieniveau des Kohlenstoffs in der Nähe von 7,7 MeV (Millionen Elektronenvolt, eine bequeme Energieeinheit für Kernreaktionen) vorher. Mitte der 1960er-Jahre hatte dann der Experimentalphysiker William Fowler solch eine Resonanz bei 7,65 MeV gefunden, weniger als ein Prozent von Hoyles Vorhersage entfernt. Hoyle stellte diese Entdeckung als Triumph der »anthropischen« Denkweise dar: etwas über das Universum aus der Existenz von Menschen zu schlussfolgern. Ohne diese fein abgestimmte Resonanz gäbe es uns nicht.
Das klingt beeindruckend, und das ist es auch, wenn man es auf diese Weise erzählt. Doch wir sehen bereits eine Tendenz zur Übertreibung. Zunächst ist die Verbindung zu den Menschen unnötig und irrelevant. Entscheidend ist die Menge des Kohlenstoffs im Universum und nicht, was er hervorbringen kann. Wir brauchen nicht unsere eigene Existenz ins Feld zu führen, um zu wissen, wie viel Kohlenstoff es gibt. In Der Trugschluss der Feinabstimmung bezieht sich Victor Stenger auf eine Untersuchung der Geschichte von Hoyles Vorhersage durch den Philosophen Helge Kragh. Ursprünglich brachte Hoyle die Resonanz nicht mit der Existenz von Leben in Verbindung, erst recht nicht von menschlichem Leben. Der anthropische Zusammenhang wurde fast dreißig Jahre lang nicht hergestellt. »Es ist irreführend, die Vorhersage des Zustands von 7,65 MeV als anthropisch zu bezeichnen oder sie als Beispiel für die Vorhersagekraft des anthropischen Prinzips zu benutzen«, schreibt Kragh. Pan narrans war wieder am Werk, und die Liebe der Menschen zum Narrativium hat die historische Geschichte umgeschrieben.
Des Weiteren ist die Feststellung »Ohne diese fein abgestimmte Resonanz gäbe es uns nicht« einfach nicht wahr. Nicht der Wert von 7,65 MeV für die Resonanzenergie ist erforderlich, damit Leben existiert. Er ist die Energie, die benötigt wird, um die derzeit zu beobachtende Menge von Kohlenstoff zu erzeugen. Ändern Sie die Energie, und es entstünde immer noch Kohlenstoff – aber in anderen Mengen. Keineswegs in so stark abweichenden Mengen, wie Sie vielleicht glauben. Mario Livio und seine Mitarbeiter haben errechnet, dass jeder Wert zwischen 7,596 und 7,716 MeV ziemlich genau die gleiche Menge Kohlenstoff hervorbrächte. Alles bis hinauf zu 7,933 MeV würde genug Kohlenstoff erzeugen, damit Leben auf Kohlenstoffbasis existieren kann. Und wenn das Energieniveau unter 7,596 MeV sänke, entstünde mehr Kohlenstoff, nicht weniger. Die niedrigste Energie, die genug Kohlenstoff für die Existenz des Lebens hervorbrächte, ist der Grundzustand des Kohlenstoffatoms, die niedrigste Energie, die es überhaupt haben kann, nämlich 7,337 MeV. Eine fein abgestimmte Resonanz ist nicht notwendig.
Jedenfalls sind Resonanzen billig zu haben, denn Atomkerne haben eine Menge Energieniveaus. Eins im passenden Bereich zu finden, ist keine große Überraschung.
Ein ernsterer Einwand ergibt sich aus der Berechnung selbst. Wenn Faktoren berücksichtigt werden, die Hoyle vernachlässigte, ergibt sich für die kombinierten Energien von Helium und Beryllium ein merklich höherer Wert als der von Hoyle verwendete. Was passiert mit dieser »überschüssigen« Energie?
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